Einer härter als der andere!...
Einer härter als der andere!
Im TV kann so einiges schief gehen, vor allem dann, wenn Sendungen oder...
Gemeinsam mit Schauspieler André Dietz taucht TV-Koch Tim Mälzer in den Alltag eines Pflegeheims ein, in dem Menschen mit Behinderung die Senior*innen unterstützen.
Nach dem großen Erfolg der mehrfach preisgekrönten VOX-Doku-Reihe „Zum Schwarzwälder Hirsch - eine außergewöhnliche Küchencrew und Tim Mälzer" startet VOX am 5. März das Generationenprojekt "Herbstresidenz" mit Tim Mälzer und André Dietz. In der wegweisenden Doku-Reihe begleiten Mälzer und Dietz Menschen mit Behinderung, die sich in einem Caritas-Pflegeheim liebevoll um alte Menschen kümmern.
Dabei können sie im Rahmen des Projekts eine Qualifizierung zum Alltagshelfer absolvieren und so langfristig außerhalb von Behindertenwerkstätten eine Beschäftigung im ersten Arbeitsmarkt finden. Welcher Moment ihn bei den Dreharbeiten besonders berührt hat, erklärt Tim Mälzer im exklusiven XXL-Interview mit TV DIGITAL.
Ein Interview von TV DIGITAL Chefreporter Mike Powelz
Tim, wie kam es zu der Idee für „Herbstresidenz“ – eine außergewöhnliche Reihe, bei der Sie und André Dietz ein Pflegeheim an der Mosel 90 Tage übernehmen? Was macht dieses Format aus Ihrer Sicht einzigartig?
Ich glaube, das Format macht einzigartig, dass wir mit wenigen Mitteln zeigen, was wir als Gesellschaft alles verändern können, wenn wir unsere Stärken kombinieren. Missstände, die vermeintlich hoffnungslos aussehen, können manchmal ganz einfach verbessert werden, wenn die Gesellschaft ein wenig zusammenrückt und wir uns auf unsere Stärken besinnen. Nach dem Format „Zum Schwarzwälder Hirsch“, wo wir Menschen mit Down-Syndrom im Gastrobereich auf den ersten Arbeitsmarkt verholfen haben, ist die Frage aufgekommen, in welchen Bereichen ebenfalls helfende Hände fehlen und im Grunde hochmotivierte Menschen eine Lösung des Problems sein können.
Die Idee, einem Pflegeheim ein komplettes Makeover zu geben – sprich: es würdevoller und menschlicher zu gestalten – ist eigentlich längst überfällig. Welche Erfahrungen hatten Sie mit herkömmlichen, traditionellen Pflegeheimen gemacht? Hatten Sie früher beispielsweise selbst schon mal Heime von innen gesehen - vielleicht, weil Sie früher Ihre Oma, Ihren Opa oder sonstwen dort besucht haben und was war da – unterm Strich – Ihr Eindruck? Welche Art von Bildern haben Sie von damals im Kopf behalten?
Ich bin ein Mensch, der im Leben überwiegend die positiven Eindrücke sammelt. Früher oder später schmeiße ich diese dann alle in einen Topf – sei es in meinem Gastrobetrieb oder bei einer Fernsehsendung – und probiere, all das Positive miteinander zu verbinden. Wir sind jetzt nicht die ersten und einzigen, die versuchen, das im Bereich Pflege anzugehen. Wir haben aber das Glück, unsere Gedanken durch das Medium Fernsehen sichtbar zu machen und so vielen zu zeigen, was alles möglich ist. Wir versuchen quasi von Innen heraus einen Vorbildcharakter zu entwickeln und aufzuzeigen, was alles möglich ist, ohne dabei nur im Außen nach Hilfe zu suchen. Wir haben jede Menge selbst in der Hand.
Ein zentrales Element, mit dem Sie Senior*innen nun einen Lebenssinn zurück geben möchten, ist das Kochen. Wie haben Sie das gemeinsame Kochen mit den Senior:innen erlebt, wie sich einander angenähert?
Ich habe mir gedacht „Wir machen einfach mal“. Also bin ich losgegangen, habe eingekauft und habe dann zu den Bewohnerinnen und Bewohnern gesagt: Jetzt wird gekocht. Ich musste allerdings recht schnell feststellen, dass das gar nicht so geht, wie ich mir das vorgestellt habe. In einem Pflegeheim gibt es nicht „den einen“ Charakter, sondern viele Individuen mit unterschiedlichen Fertigkeiten und Leidenschaften – und mit unterschiedlichen Gesundheitszuständen. Ich habe so gesehen also erstmal vieles falsch gemacht. Und aus dem vielen Falschen habe ich dann aber meine Fehler erkannt, sodass ich es danach relativ schnell sehr viel richtiger angehen konnte.
Wie haben Sie sich dabei gefühlt, was empfunden? Und was haben Sie auf Seiten der älteren Menschen wahrgenommen, welche Gefühlsregungen, welche Reaktionen?
Generell ist das Thema Kulinarik ein kommunikatives Thema - auch vor Ort. Das ist im Grunde so wie ich auch Gastro betreibe: Es geht nicht um die Rezeptur, sondern um die Atmosphäre und das Zusammenführen von Leuten am Esstisch. Daher wollte ich bei den Bewohnern Erinnerung hervorrufen, Emotionen hervorrufen, erlebte Geschichten wieder zum Leben erwecken. Und ich wollte Eigenverantwortung schaffen. Sprich: Ich wollte die Bewohnerinnen und Bewohner weg vom „full service“ bringen, um ihnen auch Aufgaben zu geben, die in Teilen von ihnen selbst mit erfüllt werden können.
Gab es einen Moment, der Sie beim gemeinsamen Kochen besonders berührt hat?
Da gab es ganz viele Momente. Zum Beispiel die Reaktionen, als ich zum ersten Mal Speck gebraten habe. Ich wollte den Speck einfach als Raumduft haben. Und da habe ich die Bewohner dann auch plötzlich aufgucken sehen und den fast sichtbaren Duft riechen sehen und ich habe sie lächeln sehen. Der sonst so stille Speiseraum ist relativ schnell zu einer Kommunikationsoase geworden. Wir haben dann noch eine Tafel hingestellt, alles etwas schöner eingedeckt und dem Ganzen etwas mehr gegeben als nur die Funktion der reinen Verpflegung. Und plötzlich hat das stattgefunden, was in jeder guten Kneipe stattfindet: Die Menschen haben miteinander gesprochen. Sie haben sich einander zugewandt, ihre eigenen Geschichten erzählt, sie fingen an, von sich etwas preiszugeben. „Mit Speck fängt man Mäuse“ – so war es hier quasi im wahrsten Sinne des Wortes. Das hat funktioniert.
Welche konkreten Projekte und Aufgaben haben Sie den Senior*innen überhaupt gegeben? Und wie haben die alten Herrschaften sich dabei geschlagen? Sind sie beispielsweise aufgeblüht – und hat man gemerkt, dass sie vorher unterfordert waren? Oder haben Sie etwas anders ganz anderes als besonders wahrgenommen?
Wir haben keine Aufgaben gegeben, sondern haben gemeinsam welche gesucht. Wir wollten kein Konzept anlegen, bei dem dann jeder einfach mitzulaufen hat; sondern wir haben das Konzept in unserer Zeit vor Ort entwickelt – und sind dann eben auch abhängig davon gewesen, was die Seniorinnen und Senioren mit eingebracht haben. Am Anfang war das ein recht mühseliger Weg, weil es sich um die „Generation bescheiden“ handelt, die sich selbst nicht gerade in den Vordergrund drängt. Wir mussten also erstmal wieder Leidenschaften entdecken, die die einzelnen Bewohner früher mal in ihrem Leben hatten – in ihrem Berufsleben, ihrem Privatleben oder ihrem Familienleben. Unser Ansatz war dann zu probieren, diese Leidenschaften in Aufgaben umzumünzen – eben wie die gemeinsame Zubereitung von Mahlzeiten, wie das Spargelschälen oder das Teilen von Rezepturen, die in den Leben der Bewohner einst von Bedeutung waren. Im Grunde ist es wie mit dem Butterkuchen der eigenen Oma – dadurch, dass Oma den gebacken hat, ist das Rezept ganz besonders toll. Über solche Momente hat dann ein starker Austausch stattgefunden, der wie sozialer Klebstoff wirkte. Und das hat wiederum wirklich zum besseren Allgemeinwohl beigetragen – das muss man einfach sagen. Wir haben am Ende dazu beigetragen, dass sie ein wenig aus ihrer – in Teilen selbstgewählten – Isolation herausgetreten sind. Ähnliches haben wir übrigens auch im Zusammenhang mit Musik erlebt.
Wie würden Sie die Situation des Pflegeheims vor und nach Ihrer 90-tägigen Tätigkeit beschreiben? Welche sichtbaren oder spürbaren Veränderungen waren für Sie die größten?
Optisch haben wir ein Seniorenheim zu einem Seniorenzuhause gemacht. Wir haben die Persönlichkeiten der Bewohner sowohl in ihren eigenen Räumen als auch in den allgemeinen Räumen mehr hervorgehoben. So wurde die Gestaltung individueller – also weniger angelehnt an eine Gruppe Menschen, sondern mehr für die einzelnen Menschen gedacht. Ein weiterer wichtiger Punkt war, glaube ich, dass wir zudem die Arbeitsqualität und den Alltag des bereits bestehen Pflegepersonals ein wenig zu den wesentlichen Merkmalen ihres Wirkens zurückdrehen konnten: nämlich Pflegen, anstatt nur zu verwalten. Wir konnten viele vermeintlich kleine Aufgaben durch die Alltagshelfer abfangen, was dem Pflegepersonal wiederum viel Zeitersparnis gebracht hat. Daraus ist eine höhere Betreuungsqualität entstanden und es konnten vermehrt soziale Bindungen geschaffen werden. Win-Win! Besonders beachtlich finde ich, dass im Verlauf sogar die Einnahme einiger Nebenmedikation wie Schlafmittel oder Antidepressiva enorm zurückgegangen ist. Die Veränderung war sehr deutlich – ohne, dass wir das geplant hatten. Ich glaube, dass der allgemeine psychische Zustand der Bewohnerinnen und Bewohner um einiges erhellt wurde.
Haben Sie eine Freundschaft zu einem oder mehreren der Senior*innen bzw. Menschen mit Beeinträchtigungen geknüpft, sind Sie mit jemandem „ziemlich beste Freunde“ geworden? Und falls ja: mit wem – und was hat Ihnen dieses Kennenlernen und Sich-Annähern gegeben?
Zu Schmitti, wie ich sie liebevoll nenne (lacht), und zu Herrn Schreckinger, der mehr aus Liebe als aus Bedarf gemeinsam mit seiner Frau in das Pflegeheim gezogen ist, hatte ich eine besondere Verbindung. Es beeindruckt mich, wie sehr er sein eigenes Leben untergeordnet hat und das ausschließlich, um das Leben seiner Frau im Pflegeheim leichter zu machen. Seitdem ich das gesehen habe, denke ich oft über die Frage nach, wann eigentlich der richtige Zeitpunkt ist, um in ein Pflegeheim zu gehen? Sollte man noch selbst und proaktiv entscheiden, in ein Heim zu gehen? Oder sollte man bis aufs Letzte warten? Eine Antwort darauf habe ich bis heute nicht – ich tendiere aber zum frühzeitigen Schritt. So kann man sich den Ort noch selbst zu einem Zuhause machen und das Leben vor Ort noch aktiv mitgestalten und auch Freundschaften schließen. So verliert es seinen Schrecken, glaube ich.
Wie war das Kennenlernen der Senior*innen und der Menschen mit Beeinträchtigungen aus Ihrer Sicht? Gab’s einen Moment, der Sie besonders beeindruckt hat oder der Ihnen aus einem anderen Grund im Gedächtnis geblieben ist?
Aus professioneller Distanz und mit einem humorvollen Blick betrachtet, würde ich behaupten, dass das ein sehr spezieller erster Moment war. Wir hatten eine Truppe, die quasi fast schon übermotiviert, fröhlich und voller Tatendrang auf die Bewohner zustürmte. Die Bewohner hingegen waren überhaupt nicht auf diese Situation vorbereitet. So kam es dann auch schnell zu einem verbalen Stillstand, bis Helfer und Bewohner etwas behutsamer aufeinander zugegangen sind und letztlich zueinander gefunden haben. In diesem Moment haben mich vor allem einzelne Alltagshelfer positiv überrascht, wie Kevin oder Felix, die sich mit viel Einfühlungsvermögen und Verantwortungsbewusstsein einen Zugang zu den Bewohnern gesucht und diesen auch gefunden haben. Insgesamt war das Aufeinandertreffen sehr beeindruckend, weil sich hier zwei Gruppen unterschiedlicher Generationen und mit unterschiedlichen Bedürfnissen öffnen und behutsam aneinander herantasten mussten und letztendlich durch das, was sie der jeweils anderen Gruppe geben können, langsam zueinander gefunden haben. Die positive Energie, die dabei entstanden ist, die war schon irre!
Was hat Sie beim Dreh ganz besonders berührt? Was vom Dreh wird Ihnen immer im Gedächtnis bleiben?
Dass die Welt viel weniger Probleme hätte, wenn wir wieder ein bisschen mehr zusammenarbeiten würden. Das klingt so banal, aber das ist wirklich kein Hexenwerk. Es braucht manchmal nur den einen Anstoßgebenden und auf der anderen Seite die Bereitschaft, ihm oder ihr eine Chance zu geben. Ich kann nur sagen: Die älteren Menschen, die ich kennengelernt habe, haben noch sehr viel zu geben – Geschichten, Erfahrungen, Expertisen, Gefühle – wir müssen halt hinhören und uns die Zeit nehmen. Zudem hat es mich tief beeindruckt, dass das Pflegepersonal überhaupt zugelassen und uns eine Chance gegeben hat, vor Ort dabei zu sein. Wir konnten gemeinsam nach Lösungen suchen, wie man es für alle besser machen kann. Die Pflegekräfte geben das Maximum ihrer Möglichkeiten im Rahmen dessen, was das System hergibt. In unserem Fall haben sie sich zudem bereiterklärt, auch ihre Welt ein wenig zu verändern. Das fand ich stark. Mich nervt es daher, wenn wir ungerecht denjenigen gegenüber werden, die in der Pflege arbeiten, indem wir immer nur auf die negativen Aspekte in der Pflege schauen. Ich habe ausschließlich motivierte, engagierte und aufopfernde Menschen kennengelernt, die ihr Arbeitsleben dafür nutzen, andere Menschen zu pflegen und dabei oftmals auch darüber frustriert sind, dass sie aufgrund des Systems ihren eigenen Ansprüchen nicht gerecht werden können. Sie verdienen mehr Respekt.