Mit Emily Browning & Ricky Whittle 

Sex, Götter & abgetrennte Arme • Das"American Gods"-Interview

12.11.2020 um 07:58 Uhr

Als Journalist erlebt man so einiges – vom mittelsympathischen VIP mit Jetlag bis zum allzu glatten PR-Text-Wiederholer. Die "American Gods"-Stars Ricky Whittle und Emily Browning gehören allerdings klar in die Kategorie "netteste Promi-Gesprächspartner ever".

Das vermute ich schon beim Eintreten in die Suite, als ich die beiden extrem entspannt auf dem zierlichen Zweisitzer des Münchner Nobelhotels lümmeln sehe und wir die ersten Minuten mit Scherzen und Gelächter verbringen. Beide sind uneitel, clever, lustig und legen wenig Wert auf glattgebügelte Mainstream-Antworten. Los geht's mit unserem Gespräch über die neuen Folgen dieser ziemlich schrägen Serie, in der alten gegen neue Götter antreten und Menschen wie Shadow Moon (Ricky Whittle) und seine Frau Laura (Emily Browning) zwischen die Fronten geraten.

Apropos schräg: Ich will wissen, was denn das Abgefahrenste war, was sie bei "American Gods" bislang drehen durften.

Emily muss nicht lange überlegen. Es ist die Szene nach ihrer Auferstehung in Staffel 1, bei der sie mit ihrem abgetrennten Arm in der Hand eine Straße entlangspaziert:

Beim Dreh sah das dann so aus: "Ich musste einen blauen Ärmel tragen, damit mein Arm hinterher gut am Computer herausretouchiert werden konnte," erzählt sie. "In meiner anderen Hand hielt ich eine Prothese, die unfassbar schwer war. Sie war ein genaues Ebenbild meines tatsächlichen Arms, vom Aussehen bis zum Gewicht."

Was wiegen die Beine eines Serienstars?

Browning lacht: "Ohne zu viel über die zweite Staffel verraten wollen – aber in einer Szene muss Ian [Ian McShane, Darsteller des Mr. Wednesday, Anm.d.Red.] mein Bein tragen. Beim Dreh hob er es auf und rief 'Was zur Hölle – das ist das schwerste Bein aller Zeiten!' Ich hatte vorher nie realisiert, wie viel Gliedmaßen wiegen. Aber das Bein sah exakt aus wie meins und wog auch genauso viel" Sie lacht. 

Ricky Whittle ist nicht einverstanden: "Das war niemals das reale Gewicht Deines Beins! Ich hab's auch mal aufgehoben und es war irre schwer. Nein, das müssen die Materialien der Prothese gewesen sein." Als Emily widerspricht, sagt er charmant: "Also ich hab Dich schon getragen – Du bist als ganze Person definitiv leichter als dieses eine Bein." Beide kichern und ich freue mich, dass diese Serie so irre Gesprächsthemen beschert. Ist mal was anderes als "Es war ja sooo toll mit Regisseur XY zu drehen".

Wie man auf Emilys Instagram-Foto vom Interviewtag in München sieht, relaxte die Schauspielerin nicht nur auf dem Sofa, sondern später auch auf dem Boden – wobei sie sich von Co-Star Whittle fotografieren ließ:

Erst heiraten, dann kennenlernen

Auch beim ersten Treffen der beiden Schauspieler wurde nicht lange gefackelt. Ohne sich vorher jemals gesehen zu haben, begegneten sie sich am Set: "Wir sagten 'Hallo', fuhren in einem Van zum Set in einem Park und posierten dort für das Shooting unserer Serien-Hochzeitsbilder".

Aber zurück zu Rickys schrägster Szene: "Es ist diese Situation, bei der Du jemanden kennen lernst und direkt danach vor der Kamera Liebe machst. Das ist was vom Verrücktesten, was Du als Schauspieler erlebst. Du bist in einem Raum, umringt von Leuten und hast Trockensex mit einer guten Bekannten oder einer Person, der Du gerade zum ersten Mal begegnet bist. Bei all den wirklich seltsamen Sachen, die ich bei 'American Gods' diese Season mache, ist das wirklich das Schrägste."

Hatte Ricky je Zweifel an der Rolle und der Serie gezweifelt, die er nach seinem Ausstieg bei "The 100" annahm?

"Nein. 'American Gods' ist so abgefahren. Im Grunde produzieren wir für jede Staffel acht Kinofilme, wenn man den Einsatz, die Technik und den Zeitaufwand betrachtet. Wir drehen ein bis zwei Szenen pro Tag – in diesem Tempo wird normalerweise nur an Filmsets gearbeitet. Und dann die Darsteller. Aus aller Welt und so talentiert. Ich kann mit meinen Idolen arbeiten, wie Ian McShane. Und Emily hier. Sie hab ich als Teenager im Kino gesehen und für sie geschwärmt." "Das tut er aber jetzt nicht mehr," erläutert Emily mit ernstem Gesicht. "Nee," lacht Ricky, "jetzt ist sie sowas wie meine verrückte kleine Schwester."

Im Instagram-Bild: Ricky Whittle mit "American Gods"-Romanautor und Fantasy-Legende Neil Gaiman:

Glaubensfragen und eine ganz besondere Frauenrolle

Jetzt aber mal zum Kern der Serie. Hier geht es ja um Götter unterschiedlichster Religionen, die mit den Menschen in die USA eingewandert sind, und nun darum kämpfen, nicht vergessen zu werden angesichts des Aufstiegs neuer Götter, wie der Medien. 

Die Götter in dieser Serie sind nicht besonders nett. Man glaubt an sie, weil sie nun mal da sind, mächtig und raffiniert. Nicht, weil sie gut sind.

"Das stimmt," bestätigt Ricky. "Sie haben Fehler, sind unglaublich selbstsüchtig, sogar verletzlich." Emily fügt hinzu, dass sie auf dieser Europa-Interviewtour viel nach ihrem eigenen Glauben gefragt worden seien. Sie, aufgewachsen in einem praktisch atheistischen Haushalt, habe darauf gern mit dem Satz geantwortet: "Gott ist nicht über uns, er ist unter uns." Sie persönlich beziehe ihre Motivation, morgens aufzustehen und zu versuchen, sich wie ein guter Mensch zu benehmen, allein aus menschlichen Beziehungen.

In der Show sei dieser Satz allerdings nicht metaphorisch, sondern sehr wörtlich zu verstehen. Schließlich kann man auf Erden herumwandelnde Gottheiten schlecht ignorieren.

Dass die Götter nicht besonders "anbetungswürdig" sind, empfindet aber auch ihr Serien-Charakter so, meint Emily. Laura wurde beigebracht, dass Gott das Gute verkörpert. Und deshalb kann sie trotz Existenzbeweis nicht an diese streitende Göttermeute glauben, die Menschen ausschließlich für ihre eigenen Ziele benutzt. 

Gutes Stichwort, wenden wir uns Laura zu. Die ist nicht besonders nett, ziemlich bissig und alles andere als brav. Immer noch selten, so eine klischeefreie TV-Frauenrolle, oder Emily?

"Genau deshalb wollte ich sie unbedingt haben. Anfangs hatte ich den Roman zwar nicht gelesen und dachte deshalb, dass mal wieder ein Helden-Anhängsel gesucht wird. Doch dann las ich die ersten Szenen und stellte fest: Laura ist eine Frau mit vielen Fehlern. Sie macht sich keinerlei Gedanken darüber, was andere von ihr denken und vom Höflichsein hält sie auch nichts. Außerdem ist sie nicht die klassische "getötete Freundin des Helden", die nur in der Geschichte vorkommt, um ihn zu seinen weiteren Handlungen – sprich einer Rachemission – zu motivieren, wie es oft in Filmen und Serien der Fall ist. Als Zuschauer denkt man zwar in den ersten drei Folgen von Staffel 1 noch, dass Laura genauso eine sentimentale Erinnerung sein soll. Doch das ist vorbei, als sie in Folge vier zurückkehrt..."

Und sich ihren Arm schnappt...

Emily lacht: "Genau. Ich liebe es, dass wir dieses Story-Klischee so massiv verändert haben."

Als die neuen Folgen entstanden, tat sich gerade in den USA einiges (und wenig Positives) in Sachen Umgang anderen Kulturen – dem zentralen Thema in "American Gods". Habt ihr am Set darüber gesprochen?

"Oh ja," sagt Emily. "Schließlich ist Amerika ist großartig aufgrund seiner Diversität, der Vielfalt an Menschen, Kulturen und Religionen, die ALLE ihre Berechtigung haben, solange der Glaube nicht benutzt wird, um anderen zu schaden."

Ricky ergänzt: "Wir haben natürlich am Set darüber gesprochen. Die meisten Darsteller leben ja in den USA, also betrifft es uns – von den Tweets des Präsidenten bis zu den politischen Entscheidungen, die gefällt werden. Wir haben aber auch das Glück, Teil einer Serie zu sein, die sich mit diesen Fragen beschäftigt – auf eine sehr aufrichtige Weise. Du kannst Dich bei 'American Gods' durchaus abgestoßen fühlen vom Ausmaß der Gewalt, von den Waffen, vom Rassismus. Aber genau das gibt es in Amerika. Und nicht nur dort, diese Themen sind ja gerade überall aktuell. In der Serie zeigen wir: Seht her, das passiert. Diese unschönen Seiten gibt es. Also lasst uns darüber reden und uns vielleicht langsam in eine bessere Richtung bewegen."

Emily fügt noch hinzu: "Wir wollen die Leute auf subtile Art zum Nachdenken bringen und zeigen, dass es viele Nuancen gibt und nicht nur Schwarz und Weiß, Gut und Böse. So nach dem Motto: Ich glaube an meine Sache, Du an Deine und wir können friedlich miteinander leben."

Wenn das kein gutes Schlusswort ist zu einem inspirierenden Gespräch mit zwei wahnsinnig sympathischen Schauspielern. Die beiden sollte man sich merken!

Und ansehen – hier der Trailer zu Staffel 2 der Serie:

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