Zum Mythos wurde Dundee, viertgrößte Stadt Schottlands, ausgerechnet durch eine Katastrophe: 1879 riss der Einsturz der Firth of Tay-Eisenbahnbrücke 75 Menschen in den Tod. Theodor Fontane hat dieses historische Ereignis als Mahnung vor Technikgläubigkeit in seiner Ballade "Die Brück' am Tay" verewigt: "Tand, Tand ist das Gebild' von Menschenhand". Dundee, einst Zentrum der weltweiten Juteproduktion, ist wieder einmal dabei, sich neu zu erfinden - mit Design, Technik und Lebenskunst, ohne das maritime Erbe zu vergessen. Mit der Eröffnung der Tay Road Bridge im Jahr 1966 wurde der Fährverkehr komplett eingestellt. In die historischen Abfertigungshallen an der alten Pier in Newport ist ein kleiner Familienbetrieb für Bootszubehör eingezogen. David Andersons Telefon klingelt im Minutentakt. Drei Pannenhilfe-Schiffe hat er immer einsatzbereit und mehr als 100 Bootsmotoren auf Lager: David ist der Mann für alle Fälle auf dem Tay. Klassiker sind hier los gerissene Ankertaue - wegen der enormen Gezeitenströmung. David betreibt den Marine Supply Store gemeinsam mit seiner Frau Liz und ihren beiden Söhnen. Vor 400 Jahren begannen Mönche die Ufer des wilden Tays mit Schilf zu befestigen, um ihre Felder vor Erosion zu schützen. Mittlerweile sind die sogenannten Reedbeds das größte zusammenhängende Schilfgebiet Großbritanniens, in der ein angepasster Spezialist lebt: die Bartmeise. Eine Zählung soll Aufschluss über die Größe der Population bringen, denn die Bartmeise ist in Gefahr. Extreme Regenfälle haben viele Nester zerstört. Und vor vier Jahren vernichtete ein Feuer große Teile der Schilffläche. Seit 1884 stürzen sich Mutige bei der Amphibious Ancients Bathing Association in das von den Highlands gespeiste eisig kalte Wasser des Meeresarms. Wild Swimming hat Tradition in Schottland. Nur einmal im Jahr übertreiben sie es ein wenig: Beim Double Tay-Wettbewerb durchschwimmen die Teilnehmenden den 1,6 Kilometer breiten Meeresarm gleich hin und zurück! Auch Lynsey Coupland traut sich das noch einmal, zehn Jahre nach der Geburt ihrer Tochter: von Broughty Ferry nach Tayport und retour, brutale 3,2 Kilometer am Stück durch zwölf Grad kaltes Wasser. Ohne Neoprenanzug. Tatsächlich machen die Teilnehmenden noch mehr Strecke, denn bei der extremen Strömung müssen alle einen großen Bogen schwimmen, um auch wirklich anzukommen. Die Stoffindustrie brachte Dundee einst Reichtum. Damals machte man hier Jute aus Indien mit Waltran weich und verarbeitete sie dann weiter. In den alten Produktionshallen der Baltic Works Mill werden heute mit modernster Technik und dem Spirit von damals gewachste Stoffe hergestellt. Kerrie Alexander näht und designt in ihrem kleinen Atelier moderne Alltagskleidung. Aus den wachsbeschichteten Materialien entstehen in Handarbeit kultige Raincoats, inspiriert von der Arbeitskleidung der Fischer vor 150 Jahren. Geräucherter Schellfisch, "Smokeys", aus der Hafenstadt Arbroath rangieren in Schottland auf einer Ebene mit Edelprodukten wie Parmaschinken oder Champagner. Paarweise an der Schwanzflosse zusammengebunden, hängen die Fische kopfüber in exakt austarierter Höhe an speziellen Holzgestellen. Celeste Lyons und ihre Tochter Cean leben vom traditionell geräucherten Haddock. Alle Details der althergebrachten Produktionsweise werden im Familienbetrieb minutiös eingehalten. Allerdings gibt es eine etwas skurril anmutende Innovation: Zum Zusammenbinden der Haddocks setzt Celeste inzwischen auf Gummi-Kastrationsringe aus der Viehzucht. Tonnenweise Schellfischpaare mit grobem Bindfaden zu schnüren sorgte nämlich jahrzehntelang für wunde Finger und war nicht unbedingt hygienisch. Jetzt haben die Ladys in der Traditionsfirma das Ruder übernommen - Problem gelöst.
Mehr Informationen und Programmübersichten von Sendern:
Sie testen TV DIGITAL 6 Ausgaben lang und sparen 30% gegenüber dem Einzelkauf.