Wenn das Alphabet zur Qual wird - In Deutschland leben etwa 6,2 Millionen Erwachsene, die nicht richtig lesen und schreiben können. Arbeiter, Angestellte, Studenten. Auch immer mehr Kinder sind betroffen. Ein Tabuthema. Robert (51) hat es in der Kindheit versäumt, lesen und schreiben zu lernen. Lea (28) hatte zwar in der Schule Unterstützung, doch das Schreiben verursacht ihr bis heute Stress. Bela (11) bangt aufgrund seiner Legasthenie um die Versetzung. Robert bleibt in der Grundschule zweimal sitzen, kommt auf die Sonderschule und dann in ein Heim für schwer erziehbare Kinder. Lesen und schreiben lernen - das war in seiner Familie nie Thema. "Ich weiß nicht mal, ob meine Eltern wirklich lesen und schreiben konnten." Seine Rettung: Im Kinderheim lernt er mit 14 Jahren das Lesen. Mit 16 Jahren verlässt der Ludwigshafener die Hauptschule ohne Abschluss. Er macht später seinen Führerschein, bewirbt sich als Fahrer bei einem Busunternehmen - und wird eingestellt. Dass er nicht schreiben kann, merkt jahrzehntelang keiner. Bis ein Angriff während einer Nachtschicht Robert zwingt, sein Geheimnis zu lüften. Als er die Übergriffe melden soll, kann er sie nicht zu Papier bringen. Robert ist traumatisiert und wird "dienstunfähig" geschrieben. Nun kämpft sich Robert zurück ins Arbeitsleben. Dafür lernt er das Schreiben und sucht sich Unterstützung in einer Selbsthilfegruppe für gering literalisierte Menschen. Leas Legasthenie wird in der zweiten Klasse diagnostiziert. "Das erste Diktat kam komplett rot zurück." Sie bekommt einen Nachteilsausgleich und kämpft sich mühsam durch die Schuljahre. Ihr Glück: Sie ist fasziniert von Schrift. "Ich liebe Buchstaben, Geschichten und Märchen." Trotzdem bereiten Texte Lea Schwierigkeiten. Ihre größte Herausforderung: Lea will ihren Masterabschluss in Grafik und Illustration an der Uni in Kassel schaffen und muss dafür eine wissenschaftliche Arbeit schreiben. In einem Schreibkurs an der VHS will sie nun Grammatik und Rechtschreibung neu lernen. In ihrer Freizeit informiert die 28-Jährige in der Öffentlichkeit über die Probleme von gering Literalisierten. Als Bela sieben Jahre alt ist, wird ihm und seiner Mutter Inga prophezeit, dass er niemals lesen und schreiben lernen werde. Heute ist Bela elf Jahre alt, geht in die sechste Klasse eines Gymnasiums in Hannover und regelmäßig zur Lerntherapie. Beim Lesen hat Bela Fortschritte gemacht. Im Unterricht mitschreiben kann er aber nicht richtig, er bringt nur Großbuchstaben aufs Papier. Und immer wieder hört er, dass er mit seiner Legasthenie angeblich kein Abitur machen könne. Auch vonseiten der Behörden wünscht sich Belas Familie mehr Unterstützung, zum Beispiel bei der Finanzierung der Lerntherapie, die die Familie selbst bezahlen muss. Der "37°"-Film zeigt, wie wenig das Thema "geringe Literalität" in Deutschland Beachtung findet, und was es braucht, damit Betroffene sich trauen, ihr Problem zu kommunizieren.
Regie |
Jessica Szczakiel
|
Mehr Informationen und Programmübersichten von Sendern:
Sie testen TV DIGITAL 6 Ausgaben lang und sparen 30% gegenüber dem Einzelkauf.