Sex, Geld, Macht: Drei Jahrzehnte Kampf um den Kiez

Ludenkartelle und Auftragsmorde: Arte-Doku „Die Paten von St. Pauli“

07.04.2022 um 14:42 Uhr

Die neue True-Crime-Doku bei Arte beleuchtet das sündige Business rund um die Reeperbahn, auf der in den 1970er Jahren die „Nutella-Gang“, der „Eliminator und „der schöne Klaus“ den Ton angaben.

Ein Artikel von TV Digital Reporterin Ulrike Schröder

Hans Albers hat sie besungen, Udo Lindenberg auch: Deutschlands berüchtigste Straße, die Reeperbahn im Hamburger Stadtteil St. Pauli. Wie sich auf der „sündigsten Meile der Welt“ ab den 1960er-Jahren das Milieu etablierte, zeigt der Doku-Dreiteiler „Die Paten von St. Pauli“: Ex-Rotlichtgrößen, Zeitzeugen und ein Zivilfahnder blicken zurück auf Leben und Überleben auf dem Kiez, das immer brutaler wird. Hamburg ist „das Tor zur Welt“ und St. Pauli am Hafen ein Hotspot für Glücksritter – ein Paralleluniversum, das Kleinkriminellen große Chancen eröffnet.

Mancher Hafenarbeiter bringt es hier zum Millionär – allen voran St. Paulis erster Pate Wilfrid Schulz. Der Hamburger steigt vom Bananenpacker und Türsteher zum Gastronomen auf, eröffnet die erste „Steige“ (Stundenhotel). Schulz gibt sich als Hanseat im feinen Zwirn, sein Wort ist Gesetz. Er will keinen Ärger, sondern mächtig Geld machen. Die Regel lautet, romantisch formuliert: Leben und leben lassen. Wer sich nicht daran hält, wird bestraft, schlimmstenfalls mit Verbannung aus St. Pauli.

Anfang der 1960er stürmen die jungen Leute den Kiez, Striplokale werden zu Musikclubs umfunktioniert. Der Ex-Boxer Horst Fascher, jüngstes Mitglied der „Schwarzen Gang“, zählt zu den Gründern des legendären „Star-Clubs“. Zur Eröffnung 1962 engagiert er eine noch unbekannte Band aus Liverpool: die Beatles. Polizei und Ordnungsamt ist der stets überfüllte Club samt ausufernder Prügeleien verhasst, die damals bundesweit einzige Jugendschutztruppe im Dauereinsatz. Ironie: Nachdem der „Star-Club“ 1969 schließen muss, entsteht in seinen Räumen auf der Großen Freiheit das „Salambo“ – Livesex statt Livebeats.

Nutella-Gang und der Eliminator treiben ihr Unwesen

Der Senat will den Kiez aufräumen, Pauli-Pate Wilfrid Schulz stimmt zu: Die Prostituierten sollen runter von der Straße. Und so baut der Immobilienmogul „Don“ Willi Bartels, der allein ein Drittel der Reeperbahn besitzt, 1967 das „Eros-Center“, den größten Bordellkomplex der Welt: 2600 Quadratmeter, 266 Zimmer. Das Sexkaufhaus ist ein Eldorado, das Zuhälter aus ganz Westdeutschland anzieht. Schulz wandert 1969 ins Bahnhofsviertel St. Georg ab, eine neue Ludengeneration zieht nach.

Klaus Barkowsky – „der schöne Klaus“, auf den die Frauen fliegen – ist ihr Star, sein Team die „Nutella-Gang“: Babyfaces, die zum Frühstück Nutella mampfen. Den Namen verdanken die Nutellas ihren Rivalen von der GMBH, die sich in keinem Handelsregister findet. Zur „Firma“ gehören 120 Zuhälter und 160 Frauen. Aber: „Wir waren ’ne hübschere Truppe“, sagt Barkowsky. „Seine“ Frauen tragen Rolex, manche verdienen 1000 Mark am Tag. Er selbst fährt Lamborghini. Nutellas und GMBH teilen sich das Geschäft auf.

Doch auf die wilden 70er folgt in den 80ern krasse Ernüchterung. Mit den Containerschiffen kommen weniger Seeleute, die Angst vor der neuen Seuche Aids setzt dem Gewerbe zu. Der Kampf wird härter, erste Luden satteln um: „Das Kokain kam aus dem Nichts“, erzählt Barkowsky. „Und viele haben es natürlich auch probiert. So ist es immer aggressiver geworden.“ Zu Wilfrid Schulz’ Zeiten wurde der Österreicher „Wiener Bär“ noch mit Messerstichen in den Hintern vertrieben. „Wiener-Peter“ Nusser dagegen, der jetzt den Kiez erobert, schaltet Konkurrenten gnadenlos aus. 1981 wird sein Partner „Chinesen-Fritz“ in der Boxkneipe „Zur Ritze“ erschossen, Nusser sitzt unmittelbar daneben. Ab 1982 stuft die Kripo das Kiez-Business endlich als organisiertes Verbrechen ein.

Zuhälterkartelle wie die Nutellas lösen sich auf, bevor sie als kriminelle Vereinigung in den Knast gehen. Dennoch eskaliert ab 1984 die Gewalt: In regelmäßigen Abständen werden gleich fünf Milieugrößen kaltblütig ermordet. 14 Monate lebt der Kiez in Angst vor dem Killer von St. Pauli: Wer ist als Nächster dran? Erst 1986 werden Nusser und sein „Eliminator“, der vorbestrafte Werner „Mucki“ Pinzner, verhaftet. Klaus Barkowsky lebt nach wie vor in Hamburg, „einer der letzten Mohikaner, die noch hier rumlaufen können“.

„Die Paten von St. Pauli - drei Jahrzehnte Kampf um den Kiez“: Drei Teile am Stück, Do, 7. April ab 20.15 Uhr bei Arte und in der Mediathek.

Tags:
Du willst mehr Entertainment-News?
FOLGE UNS AUF GOOGLE NEWS