Testfahrer fühlen kaum einen Unterschied zur Wirklichkeit

Pirellis virtuelle Reifenfabrik: Weniger Testkilometer machen bessere Reifen

06.09.2024 um 11:03 Uhr

TV DIGITAL Autoexperte Olaf Schilling über Pirelli und die innovative Reifenentwicklung im hessischen Breuberg.

Pirelli ist von Deutschland überzeugt. Während andere sparen und hierzulande Stellen abbauen, setzt der italienische Reifenhersteller auf Wachstum und investiert kräftig in seinen Standort im hessischen Breuberg. Das dortige neue Virtual Development Center (VDC) markiert einen Meilenstein in der Reifenentwicklung und unterstreicht Pirellis Rolle als Innovationsführer in der Reifenindustrie. In der Zentrale in Mailand sowie in Yanzhou (China) stehen weitere virtuelle Simulatoren – ein echter Wettbewerbsvorteil. Vorbildlich: Bei den Italienern wird Nachhaltigkeit generell großgeschrieben, durch das VDC sogar noch mehr.

„Das ist ökonomisch und ökologisch sehr effizient“, freut sich Wolfgang Meier, CEO Pirelli Deutschland. Durch digitale Technik sowie künstliche Intelligenz wird die Entwicklungszeit um bis zu 30 Prozent verkürzt, reichlich Testkilometer fallen weg und bis zu 30 Prozent weniger Testreifen werden benötigt. Das spart Zeit und Geld sowie eine sehr große Menge an CO2-Emissionen. „In Kombination mit nachhaltigeren Materialien trägt es dazu bei, Pirellis Ziel einer CO2-neutralen Produktion bis 2030 zu erreichen“, so Wolfgang Meier.

Für Reifenkäufer bringt das VDC ebenfalls enorme Vorteile. Alles in allem werden die Reifen noch besser. Denn im Vergleich zu herkömmlichen Methoden erzielt der virtuelle Entwicklungsprozess zusehends präzisere Ergebnisse und wird den Anforderungen der Autohersteller immer mehr gerecht. Noch dazu sind neue Reifen schneller serienreif. Was früher Stunden oder gar Tage gedauert hat, ist dank VDC oft in wenigen Sekunden erledigt. Noch bessere Pneus sind auch gut für die Sicherheit. Schließlich halten nur die vier schwarzen Gummis den direkten Kontakt zur Fahrbahn – mit jeweils der Aufstandsfläche einer Postkarte.

Porsche 911 umgebaut zum  virtuellen Simulator

Die Testfahrer fühlen bei ihrer Arbeit kaum einen Unterschied zur Wirklichkeit. Der virtuelle Simulator ist enorm realistisch. Zumal man in einem Porsche 911 Platz nimmt, der ihnen vorher als Testfahrzeug gedient hat. Jetzt ist er stillgelegt und weitestgehend entkernt. Statt Boxermotor und der übrigen Aggregate ist eine Armada an modernster Technik verbaut, dazu kilometerlange Kabelstränge. Um den Testfahrern ein realistisches Fahrgefühl zu vermitteln, wurde mit einigen speziellen Zutaten in die Trickkiste gegriffen: angefangen beim Soundsystem über das passende Bild im Rückspiegel bis hin zum gigantischen Bildschirm, der die jeweilige Teststrecke 1:1 vor den Porsche projiziert.

Wie bei einer reellen Testfahrt wird der Fahrer mit einem Fünfpunktgurt festgeschnallt. Allerdings ist dieser speziell präpariert. Mittels Elektromotoren wird er gestrafft, sobald stärker gebremst wird. Außerdem wurden die Sportsitze umgebaut. In ihnen simulieren Luftkissen die Seitenkräfte oder Vertikalbewegungen. Das Lenkrad liefert ebenfalls haptische Rückmeldung. Last, but not least wurde an jedem Rad ein sogenannter Shaker montiert. Je nach Fahrsituation und Bodenbeschaffenheit bringt er die Karosserie in Bewegung – als würde tatsächlich über Unebenheiten einer Rennstrecke gefahren oder ins Kiesbett. Allein das Gleichgewichtsorgan registriert die Täuschung, schließlich steht das Fahrzeug bewegungslos in einem Raum. Durch diese Verwirrung kann sich beim Fahrer Übelkeit einstellen.

Hinter dem Porsche befindet sich die Kommandozentrale des VDC. Von hier aus wird alles gesteuert und überwacht. In Hochleistungsrechnern laufen sämtliche Daten zusammen, die rund 500 Sensoren permanent sammeln. Die Kollegen können sämtliche Parameter, Settings, Wetterbedingungen und mehr per Mausklick auswählen. Sie können den Porsche auf die Rennstrecke, Landstraße oder Autobahn schicken, auf Schneeglätte oder Aquaplaning treffen lassen, mit Winter-, Sommer- oder Ganzjahresreifen ausstatten. Dank aufwendiger Vermessungen und Laserscannern wurden sämtliche relevanten Daten der Teststrecken, Szenarien und Reifenkonstruktionen hinterlegt. Das alles wird mit exakten Modelldaten von aktuell rund 300 Autos kombiniert. Darüber hinaus liefern die Autokonzerne Pirelli sogar noch streng geheime Daten künftiger Modelle. Alles für ein Ziel: noch bessere Reifen

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