Einer härter als der andere!...
Einer härter als der andere!
Im TV kann so einiges schief gehen, vor allem dann, wenn Sendungen oder...
Krieg & Klimawandel: Der renommierte Dokumacher Stephan Lamby begleitete Spitzenpolitiker durch diese Krisenzeit.
Ein Artikel von Thomas Kunze
Zu sehen waren sie schon lange, die Warnsignale. Aber von der deutschen Politik wurden sie zu lange übersehen. Dann passierte es: Russland griff die Ukraine an. „Der 24. Februar 2022 ist der dunkelste Tag in der Geschichte Europas seit dem Zweiten Weltkrieg“, sagt Stephan Lamby. Dem vielfach preisgekrönten Filmemacher gelingt es seit Jahren immer wieder, führenden Politikern ungewöhnlich nahe zu kommen, einst etwa Helmut Kohl, später Angela Merkel. Auch jetzt war er wieder ganz dicht dran. Trotzdem ist diesmal alles anders.
„Ich kann mich über die Jahre an viele Krisen erinnern: den 11. September 2001, die Eurokrise, die Flüchtlingskrise“, sagt Lamby „Aber diese Krise hat eine völlig andere Qualität, weil wir einen Krieg mitten in Europa erleben. Und wenn sich diese Regierung falsch verhält, dann stehen wir mit beiden Beinen selbst im Krieg.“ Drei Tage nach dem russischen Angriff sprach Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag von einer „Zeitenwende“. Das war noch nicht zu ahnen, als die Dreharbeiten für die Doku „Ernstfall: Regieren am Limit“ (Mo, 11. September, 20.15 Uhr) begannen, die dann mehr als eineinhalb Jahre dauerten.
Lambys Hauptdarsteller sind Bundeskanzler Olaf Scholz, Wirtschaftsminister Robert Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock, Finanzminister Christian Lindner, Kanzleramtschef Wolfgang Schmidt, später auch Verteidigungsminister Boris Pistorius. Mit jedem hat er fünf oder sechs Gespräche geführt. „Trotz der schwierigen Situation haben sich alle für den Film geöffnet. Das finde ich höchst respektabel.“ Entstanden sind zwei Versionen der Doku: eine für das TV-Programm der ARD und eine dreiteilige Fassung für die Mediathek.
Anfangs sollte auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach eine Hauptrolle spielen. Doch als sich die weltpolitische Lage änderte, die Coronapandemie immer mehr in den Hintergrund rückte, reichte es nur noch zum Nebendarsteller. Krieg statt Aufbruch Als die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP am 8.12.2021 mit der Wahl des Bundeskanzlers Olaf Scholz offiziell die Regierung antrat, lautete das optimistische Motto „Mehr Fortschritt wagen“. Es war von Reformen die Rede und oft vom Aufbruch. Scholz sprach von der „größten Transformation unserer Industrie und Ökonomie seit mindestens 100 Jahren“.
Drei Monate später war alles Makulatur. Die Klimaaktivisten der „Letzten Generation“, in der Doku auch ein Thema, planten gerade ihre ersten Aktionen – eine der vielen neuen Herausforderungen für die selbst ernannte „Fortschrittskoalition“. Stephan Lamby erklärt: „Mich hat anfangs interes siert zu sehen, wie die neue Regierung mit diesen drei sehr unterschiedlichen Parteien versucht, Deutschland zu einem klimaneutralen Wohlstandsland zu formen. Ich dachte: Das ist ein historisches Experiment, da will ich dabei sein und mir anschauen, ob und wie sie das schaffen. Dann brach der Krieg aus. Und damit war klar, dass es etwas völlig anderes wird.“
So rückte für ihn der globale Aspekt in den Vordergrund. Er reiste mit den Politikern nicht nur zu vielen Veranstaltungen in der deutschen Provinz, sondern flog mit nach Washington, Afrika, Saudi-Arabien, Paris, Vilnius, Genf und China, war bei weltpolitisch wichtigen Treffen hautnah dabei. „Durch die Arbeit wird man Teil der politischen Welt, ohne Mitglied zu sein“, sagt Lamby. Als Beobachter kann er aus der „inneren Sicht der Macht“ berichten und die Politik der Regierung transparent machen. Aufschlussreich sind nicht nur die Interviews, sondern auch die Bilder im Film, beispielsweise wenn ein nachdenklicher Scholz schweigend am Fenster des Kanzleramts steht. Die dramatischen Ereignisse spiegeln sich in solch intimen Momenten auch in den Gesichtern wider. Deutlich wird, wie schnell sich Situationen ändern – und Politiker immer wieder darauf reagieren müssen. Durch einen Countdown der Abläufe von der Regierungsübernahme bis zum Ausbruch des Krieges erzeugt die Doku zusätzliche Spannung.
Während der Film vor allem beobachtet und den Zuschauern Interpretationsspielräume lässt, findet Lamby in seinem neuen Buch deutliche Worte der Kritik, die er im Gespräch auch bekräftigt. Sein Kernpunkt: „Bislang hat die Regierung nicht verstanden, die Chancen, die aus der Koalition von drei sehr unterschiedlichen Parteien entstehen, zu nutzen. Sie ist in herkömmlichen machtstrategischen Verhaltensmustern gefangen, die sie eigentlich überwinden wollte.“ Mit ihren Streitereien gefährde sie den Erfolg aller Bemühungen: „Zu handwerklichen Fehlern kommen gezielte Indiskretionen, öffentliches Herabwürdigen und gegenseitige Blockaden.“ Besonders Habeck und Lindner kommen sich immer wieder in die Quere – mit fatalen Folgen: „Eine Regierung im Dauerstreit verspielt das Vertrauen der Bevölkerung.“ Tatsächlich sinkt es laut Umfragen derzeit deutlich.
„Ernstfall: Regieren am Limit“: Mo, 11. September, 20.15 Uhr im Ersten