Einer härter als der andere!...
Einer härter als der andere!
Im TV kann so einiges schief gehen, vor allem dann, wenn Sendungen oder...
Anlässlich des 85. Jahrestages der Novemberprogrome von 1938, bei denen Synagogen und weitere jüdische Einrichtungen im gesamten Deutschen Reich zerstört wurden, zeigt das ZDF in einem sehenswerten Doku-Drama das Schicksal der Jüdin Margot Friedländer, die den Holocaust überlebte und bis heute mit bald 102 Jahren einer wichtigen Mission folgt.
Ein Artikel von Thomas Kunze
Es ist ein Schock: Als die 21-jährige Margot im Januar 1943 nach Hause kommt, sind ihr 17-jähriger Bruder Ralph und ihre Mutter verschwunden. Eine Nachbarin berichtet, dass der Junge von der Gestapo abgeholt wurde. Die Mutter meldet sich danach freiwillig bei den Nazi-Schergen, um ihren Sohn nicht allein zu lassen. Margot sieht die beiden nie wieder, sie werden 1943 in Auschwitz ermordet. Sie selbst versteckt sich in Berlin. Nach 15 Monaten wird sie entdeckt. Sie überlebt das KZ in Theresienstadt, geht ins Exil in die USA und stemmt sich heute immer noch unermüdlich gegen das Vergessen. Am 5. November ist ihr 102. Geburtstag. Der Film „Ich bin! Margot Friedländer“ (Di, 7. November, 20.15 Uhr im ZDF) erzählt ihre Geschichte.
Neben Stars wie Iris Berben, Axel Prahl, Herbert Knaup und Charly Hübner spielt Nachwuchstalent Julia Anna Grob darin die Hauptrolle: die junge Margot. Vor dem Dreh hatte sie die Chance, die reale Heldin in Berlin zu treffen. „Ich durfte ihr viele Fragen stellen, sie zeigte mir Fotos ihrer Familie, und wir fuhren gemeinsam zur Joachimsthaler Straße in Berlin, wo sie damals verhaftet wurde“, berichtet Grob tief beeindruckt: „Frau Friedländer ist 101 Jahre alt und hat den Holocaust überlebt. Ich bin 26 und kenne den Holocaust nur aus Geschichtsbüchern. Eine Begegnung dieser Art relativiert so manches und rückt das eigene Leben in eine andere Perspektive.“
Das Dokudrama, das Spielszenen mit historischen Aufnahmen und Interviews mischt, beginnt 1939 und basiert auf Friedländers Autobiografie. Ihr Titel: „Versuche, dein Leben zu machen“. Es ist der Satz, den ihr die Mutter hinterlässt, dazu ein Notizbuch und eine Bernsteinkette, die sie heute noch trägt. Ihre Eltern trennen sich 1937. Ihr Vater unterschätzt, wie so viele damals, zunächst die Gefahr: „Hitler ist ein Gespenst, der hält sich nicht.“ Als er seinen Irrtum bemerkt, flieht er 1938 nach Belgien. Flehend schreibt die Mutter Briefe an ihn, er möge ihnen helfen, Deutschland zu verlassen. Seine Antworten sind kalt und ablehnend. Noch heute hadert Friedländer mit dem herzlosen Verhalten ihres Vaters, der 1942 verhaftet und auch in Auschwitz ermordet wurde.
Nach der Verhaftung ihrer Mutter und ihres Bruders ist sie allein: „Plötzlich war ich auf mich gestellt. Ich fühlte mich noch wie ein Kind.“ Sie beschließt, stark zu sein, die Worte ihrer Mutter sind ihr Ansporn. „Aber ich brauchte Hilfe, Menschen, die mich verstecken und mir einen Schlafplatz geben.“ Tatsächlich findet sie Deutsche, die ihr helfen. Doch deren Motive sind nicht immer selbstlos.
„Es war mir nicht bewusst, was es für eine Frau damals bedeutete unterzutauchen“, sagt Schauspielerin Julia Anna Grob dazu. Es ist ein Tabu, Betroffene haben darüber später kaum gesprochen. Aber Notsituationen wurde immer wieder ausgenutzt. Ein Paar fordert von der jungen Margot sexuelle Gegenleistungen. „Ich rede nicht darüber“, sagt sie. „Man kann sich ja denken, was da passiert ist.“ Trotzdem verurteilt Friedländer ihre Peiniger nicht: „Was die Leute getan haben, war mehr als das, was sie verlangt haben“, sagt sie. „Es hätte sie ihren Kopf kosten können, und sie haben es trotzdem gemacht.“
Dennoch ist alles wie ein Albtraum. Bei Luftangriffen der Alliierten hat sie panische Angst. Während ihre Beschützer vor der Bombardierung in Luftschutzbunker flüchten, muss sie in der Wohnung ausharren, um nicht entdeckt zu werden. 15 Monate lang gelingt das, dann wird sie im April 1944 auf der Straße gefasst. Trotz der Bedrohung fühlt sie sich erleichtert: „Die Zeit im Untergrund war sehr schwer für mich“, erinnert sich Friedländer: „Fast war ich froh. Die Hetzjagd war zu Ende.“
1944 wird sie nach Theresienstadt deportiert. Dort trifft sie Adolf Friedländer, den sie noch vom Jüdischen Kulturbund kennt, wo sie bis 1941 Theater gespielt und Kostüme genäht hat. Er fragt sie, ob sie mit ihm ein neues Leben beginnen möchte. Sie sagt zu. Schon im Juni 1945 heiraten sie und emigrieren in die USA. Liebe war es nicht, sagt sie: „Wir hatten keine Gefühle füreinander, dazu waren wir viel zu krank. Es hat lange gedauert, bis wir wieder zu richtigen Menschen geworden sind.“
Für ihn ist klar, dass er nie in die Heimat der Täter zurückkehren wird. Doch Margot spürt Heimweh: „Ich bin in New York nie richtig angekommen und vermisse Berlin.“ Nach Adolfs Tod 1997 schreibt sie ihre Autobiografie. Es folgen Einladungen nach Deutschland. 2003 kehrt sie erstmals zurück und entschließt sich 2010, nach Berlin zu ziehen und zu bleiben. Sie hat eine Mission: Als Holocaust-Überlebende wendet sie sich an junge Menschen, um die Erinnerungen an die dunklen Zeiten wachzuhalten. Sie engagiert sich für Menschlichkeit, gegen Extremismus, Antisemitismus und Gewalt.
Ihre Botschaft an die Jugend: „Ich bin gekommen, Euch die Hand zu reichen, aber Euch auch zu bitten, dass Ihr die Zeitzeugen werdet, die wir nicht mehr lange sein können.“ Eine Anklage ist es nicht, aber eine Mahnung: „Was war, können wir nicht mehr ändern. Es darf nur nie wieder jemals geschehen.“
„Ich bin! Margot Friedländer“: Di, 7. November, 20.15 Uhr im ZDF und in der ZDF-Mediathek
Neben dem Dokudrama zu Margot Friedländer zeigt das ZDF zum Jubiläum 85 Jahre Novemberpogrome in der Mediathek weitere Beiträge über Holocaust und Verfolgung in der NS-Zeit. Der Film „Die einsamen Helden: Lebensretter in Zeiten des Todes“ zeigt Deutsche, die unter Lebensgefahr bereit waren, Juden zu verstecken und vor dem NS-Terror zu bewahren. Laut vorsichtigen Schätzungen sollen es 20.000 gewesen sein. Zu ihnen zählte auch der Schauspieler Hans Söhnker.