Fußball-WM der Frauen 2023

Interview: Claudia Neumann, sind ihnen Versprecher noch peinlich?

23.07.2023 um 23:39 Uhr

Nichts scheint Menschen zuverlässiger auf die Palme zu bringen als Frauen in der Fußballberichterstattung. Das bekommt auch Reporterin und Kommentatorin Claudia Neumann oft zu spüren. 

Sie kommentiert am Montag den Turnierstart des deutschen Teams gegen Marokko in Melbourne (Montag, 24. Juli, ab 10.30 Uhr im ZDF) und hat mit uns über ihre Vorbereitungen auf die Frauen-WM, ihre Prognose für die Nationalmannschaft und die Gleichberechtigung beim DFB gesprochen.

 

Mit welchen Gefühlen blicken sie auf die kommende WM - Wie stehen die Chancen für die deutschen Frauen?

Claudia Neumann: Ich freue mich sehr auf diese WM, weil wir ziemlich sicher ein hohes Fußballniveau erleben werden. Die Teams aus den USA, aus Brasilien oder Australien werden den sportlichen Genuss, den wir im vergangenen Jahr bei der EM in England schon erleben durften, noch steigern. Die Einschätzung der deutschen Mannschaft ist schwierig: Die Spiele in diesem Kalenderjahr waren wenig überzeugend. Ein starker Turnierauftakt gegen Marokko kann aber die Ventile öffnen – dann ist alles möglich.

 

Welche deutschen Spielerinnen sind aus ihrer Sicht potenzielle WM-Stars?

Alex Popp kann wieder eine entscheidende Rolle spielen. Ihr Spiel ist leidenschaftlich und zuweilen spektakulär. Lena Oberdorf ist schon an der Pforte zur Weltspitze. Jule Brand traue ich den Durchbruch vom Talent zum WM-Star ebenfalls zu, wenn sie denn genügend Spielzeit bekommt und zeigen kann, was in ihr steckt.

 

Viele verbinden mit einer Fußball-WM Grillabende mit Freunden. Bei dieser WM werden die Fußball-Fans wohl eher ihren ersten Kaffee am Morgen genießen, während in Australien bereits die Abendspiele beginnen. Glauben Sie, dass die Zuschauer trotzdem einschalten?

Das ist so ein bisschen in Mode gekommen, die Anstoßzeiten zu hinterfragen. Die Weltkugel bietet nun mal unterschiedliche Zeitzonen und Fußballturniere wurden auch früher schon auf anderen Kontinenten ausgetragen. Ich finde, jede Tageszeit hat ihren Reiz. Außerdem kann man die WM-Spiele auch jederzeit in den Mediatheken von ARD und ZDF "on demand" schauen. So machen das doch die jungen Leute ohnehin, habe ich mir sagen lassen.

 

Sie werden bei der Frauen-WM als Live-Kommentatorin vor Ort sein. Wie bereiten sie sich auf die Live-Auftritte vor?

Viele Stunden Hausaufgaben gehen dieser Angelegenheit voraus. Alle Teams, alle Spielerinnen müssen recherchiert werden. Das ist mitunter deutlich komplizierter als beim Männerfußball, weil erheblich weniger gesicherte Informationen zu finden sind. Auch aktuelles Bildmaterial gibt es von den exotischen Teams kaum. Ich habe mir so viele Testspiele wie möglich angeschaut, der Rest erfolgt jetzt vor Ort.

 

Die letzte Europameisterschaft der Frauen hat einen regelrechten Hype ausgelöst. Trotzdem ist im Land wenig Fußball-Fieber zu spüren so kurz vor der Weltmeisterschaft. Ist es tatsächlich die zeitliche und räumliche Entfernung zum Geschehen, oder haben die Deutschen doch kein Interesse am Frauenfußball?

Haben Sie denn im vergangenen Winter während der Männer-WM in Katar oder im Sommer 2021 während der über Europa verteilten Männer-EM so viel Stimmung in Deutschland wahrgenommen? Es hängt zunächst mal von den Auftritten der deutschen Mannschaft ab. Mir ist der Begriff Hype im Zusammenhang mit der guten Entwicklung des Frauenfußballs ohnehin viel zu überstrapaziert. Prima Spiele haben im vergangenen Sommer auch Menschen vor den Fernseher gelockt, die nicht zum festen Kreis der Frauenfußballfans zählen. Das kann auch diesmal wieder passieren, wenn es gut läuft.

 

Sie begleiten die Nationalmannschaft der Frauen seit 20 Jahren bei allen wichtigen Turnieren als Reporterin. Was wünschen Sie sich für die nächsten 20 Jahre im deutschen Frauenfußball?

Gleichberechtigung auf allen Ebenen. Die Fußballerinnen haben es verdient, dass sie genauso behandelt werden wie Fußball spielende Männer. Das heißt Equal Play und Equal Pay, was die Unterstützung der jeweiligen Verbände betrifft. Speziell der DFB muss eine historisch gewachsene und durch das einstige Verbot des Frauenfußballs auch selbst verschuldete Ungerechtigkeit ausgleichen. Im Vereinswesen ist das etwas völlig anderes.

Nicht nur die Frauen auf dem Platz werden sichtbarer, sondern auch die Berichterstattung ist weiblicher geworden. Wie steht es um die Gleichberechtigung im Sportjournalismus?

Wir arbeiten dran. Es gibt noch viel zu tun.

 

Sie sind die erste deutsche Frau, die ein Champions-League-Finale der Männer kommentierte. Wie haben Sie es geschafft, sich in dieser Männerdomäne durchzusetzen?

Ich bin vor ungefähr 32 Jahren einfach meiner Leidenschaft, meinen Talenten gefolgt. Dazu kommen jede Menge Fleiß, Lernbereitschaft, Berufs-Ethos und offenbar auch ein bisschen Widerstandsfähigkeit.

 

Während Reporterinnen am Spielfeldrand längst im Männerfußball etabliert sind, stehen Sie als Kommentatorin unter besonders kritischer Beobachtung. Woran liegt das?

Das müssen Sie bitte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler oder Soziologinnen und Soziologen fragen. Unterm Strich müssen wir in jedem Fall konstatieren, dass unsere Gesellschaft, auch hier in Mitteleuropa, längst noch nicht so modern aufgestellt ist wie viele glauben.

 

Sind Ihnen Versprecher nach über 10 Jahren Live-Erfahrung noch peinlich?

Was heißt peinlich? Und was sind Versprecher? Wir reden hier über mehr als 100 Minuten Live-Talk, das gesprochene Wort lässt sich da nicht mehr zurückholen. Mal ist es nicht relevant, mal ist es unangenehm. Über wirkliche Fehler ärgert sich niemand mehr als die Verursacherin. Mit den Reaktionen muss man in einem öffentlichen Beruf umgehen können.

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