Einer härter als der andere!...
Einer härter als der andere!
Im TV kann so einiges schief gehen, vor allem dann, wenn Sendungen oder...
Klare Ansagen, ständige Zweifel: Die ZDF-Doku "Mensch Baerbock! Die undiplomatische Diplomatin" blickt auf die bisherige Amtszeit von Außenministerin Annalena Baerbock.
Ein Artikel von Sven Sakowitz für HÖRZU
Eine junge Frau als Außenministerin? Das hatte es in Deutschland noch nie gegeben. Doch am 8. Dezember 2021 war es so weit: Die damals 40-jährige Grünen-Politikerin Annalena Baerbock wurde im Bundestag vereidigt, trat offiziell das Amt als Außenministerin an. Skeptiker meldeten sich reichlich zu Wort: Sie sei politisch zu unerfahren, für das Amt nicht qualifiziert, ihre Idee einer „feministischen und wertebasierten Außenpolitik“ sei realitätsferne grüne Ideologie. Reichlich Gegenwind für die Neue also. Aber geradezu harmlos verglichen mit dem, was noch kommen sollte. Denn was bei ihrem Amtsantritt niemand ahnte: Eine lange Einarbeitungszeit wurde der neuen Ministerin nicht vergönnt. Nur knapp drei Monate später überfiel Russland die Ukraine, führt dort bis heute einen brutalen Krieg. Und Annalena Baerbock befindet sich in der für Europa dramatischsten Situation seit dem Zweiten Weltkrieg in einer Schlüsselposition.
Die Hälfte ihrer Amtszeit ist nun um. Aus diesem Anlass nähert sich ihr der Filmemacher Falko Korth in der Doku „Mensch Baerbock!“ (Di, 14.11., 20.15 Uhr im ZDF) auf besondere Weise. „Es geht mir in der Doku um eine journalistische Betrachtung der Außenministerin, die sich nicht in erster Linie auf ihre politischen Haltungen und Entscheidungen fokussiert“, sagt Falko Korth im Gespräch mit HÖRZU. „Natürlich spielt das auch eine Rolle. Ich möchte aber vor allem vermitteln, wie der Mensch Annalena Baerbock tickt und wie sie durch ihre Persönlichkeit ihr Amt prägt.“
Um das zu erreichen, bemühte er sich um einen besonderen Zugang zur Spitzenpolitikerin. „Wichtig war mir eine echte Nähe zur Außenministerin“, sagt Korth. „Ich wollte sie in möglichst vielen unterschiedlichen Situationen erleben und auch persönliche Aussagen von ihr bekommen, die man so vielleicht noch nicht von ihr gehört hat. Ich habe sie auf mehreren Auslandsreisen begleitet, war unter anderem bei ihren Besuchen in Kiew, im Iran und in Brasilien dabei. Darüber hinaus gab Annalena Baerbock mir in Berlin ein ausführliches Interview.“
Um unterschiedliche Blickwinkel zu erhalten, sprach Korth zusätzlich mit einer ganzen Reihe von Politikern und Journalisten – da es kein „Jubelporträt“ werden sollte, auch mit solchen, die Baerbocks Amtsführung kritisch sehen. So traf er sich für Interviews unter anderem mit den Politikern Norbert Röttgen (CDU), Dorothee Bär (CSU), Marie-Agnes Strack-Zimmermann (FDP) und Sahra Wagenknecht (damals noch Die Linke) sowie mit „Spiegel“-Journalist Christoph Schult und dem Chefredakteur der „Neuen Zürcher Zeitung“, Marc Felix Serrao. Bei seinen Reisen mit der Außenministerin erstaunte Korth unter anderem eines: „Mir war nicht bewusst, wie eng die Taktung ihrer Termine ist“, sagt er. „Im Irak zum Beispiel hat sie den Premier getroffen, dann dessen Stellvertreter, anschließend den Außenminister. Immer gibt es ein Statement für die Presse, immer laufen die Kameras. Danach flog sie in den Norden, nach Erbil, besuchte ein Lager für Binnengeflüchtete und ein Waisenheim, abends gab es ein Essen und gegen Mitternacht noch ein Hintergrundgespräch für die Journalisten. Am nächsten Morgen um sechs stand der nächste Termin für sie an. Und das geht so jeden Tag und jede Woche. Es war aufschlussreich, diese Belastung mitzuerleben.“
Noch etwas anderes nehme er von den vielen Reisen mit, berichtet Korth: „Frau Baerbock ist inhaltlich immer gut vorbereitet, steckt bei den komplexesten Themen tief im Detail. Es mag durch manche öffentlichen Statements, bei denen sie sich verhaspelte, ein anderer Eindruck entstanden sein. Aber ich halte diese Patzer eher für eine Folge dessen, dass sie enorm schnell denkt und formuliert.“ Für eine Außenministerin durchaus ungewöhnlich: „Annalena Baerbock ist eine Klartext-Diplomatin“, sagt Korth. „Sie hat sich auf die Fahnen geschrieben, die Dinge beim Namen zu nennen und nicht in die üblichen diplomatischen Floskeln zu verfallen. Bei den Gesprächen mit den Journalisten ist sie deshalb immer sehr offen und direkt. Und ich vermute, das ist bei bilateralen Treffen mit Politikern nicht anders.“
2019 und 2020 drehte Korth schon einmal eine Doku mit Baerbock. Für „Kurs aufs Kanzleramt?“ begleitete er mit Reinhold Beckmann Baerbock und Robert Habeck, mit dem sie die Spitze der Grünen bildete. „Sie war bereits damals sehr zugewandt, spontan und eine gute Zuhörerin“, sagt er. „Aber sie wirkte vor der Kamera manchmal auch fahrig und unsicher. Das erlebe ich jetzt nicht mehr. Sie wirkt immer sicher, gefasst, sachlich und konzentriert. Man merkt ihr aber auch deutlich an, dass Anspannung und Stresslevel höher sind.“ Für den größten Stress sorgte in den vergangenen zwei Jahren wohl der russische Krieg gegen die Ukraine. Baerbock vollzog dabei eine 180-Grad-Wende ihrer Politik: Anfangs sprach sie sich gegen Waffenlieferungen für die Ukraine aus, später war sie dafür. Ihre Ablehnung und der folgende Schlingerkurs wurden von manchen Seiten scharf kritisiert.
Nicht das einzige Thema, bei dem Kritiker Sturm liefen: So hielt man ihr auch vor, die Proteste im Iran zu wenig zu unterstützen und im Umgang mit China gefährlich ungeschickt vorzugehen. Auch die Rückholaktion von Deutschen aus Israel sei ein einziges Chaos gewesen. Ihre Unterstützung des EU-Asylkompromisses zerriss fast ihre Partei. Leichtfertig handle sie aber nicht, meint Korth: „Sie ist eine im Amt Lernende, die oft zweifelt und vermeintliche Gewissheiten infrage stellt. In unserem Gespräch sagte sie mir: ,Wer nicht zweifelt, ist entweder ideologisch verbohrt oder hat keine Selbstreflexion. Zweifel und Selbstkritik gehören nicht nur zum menschlichen Wesen, sondern zu starker Politik.‘ Ich denke, diese Sätze sagen viel über ihre Persönlichkeit und ihre Amtsführung aus.“
Ihren Mann und ihre beiden Töchter hält Baerbock aus der Öffentlichkeit heraus. Auch für diese Doku machte sie keine Ausnahme. Das Interesse an ihrem Familienleben wirkt ohnehin antiquiert. Ein Mann müsste sich vermutlich nicht fragen lassen, wie er Kinderbetreuung organisiert, wenn er als Außenminister durch die Welt reist. Interessanter dagegen: Baerbock spricht in der Öffentlichkeit hin und wieder über ihre Jugendjahre als Trampolin-Leistungsspringerin. Das wirkt bisweilen etwas skurril. Aber Falko Korth hält diese Zeit für bedeutsam. „Als Trampolinturnerin musste sie sehr diszipliniert sein“, sagt er. „Das Training erlaubte keine Nachlässigkeiten. Sie war mit einem Team unterwegs, hat gelernt, mit anderen zu kooperieren, mit Niederlagen umzugehen, in schwierigen Situationen zu kämpfen und durchzuhalten. Sie sagte mir in einem Gespräch, dass ihr diese Fähigkeiten heute ungemein helfen, wenn sie als Außenministerin in der Welt unterwegs ist.“
„Mensch Baerbock!“: Di, 14.11., 20.15 Uhr im ZDF und in der Mediathek