Der Starkomiker im Exklusiv-Interview

Michael Mittermeier bekennt sich zu TV-Sucht: Nur noch eine Folge!

25.03.2022 um 14:39 Uhr

Schon als Kind schaute Michael Mittermeier gern und viel fern. Nun hat der Comedian über sein Lieblingshobby ein Buch geschrieben: „Nur noch eine Folge!“ heißt es und erzählt von seinem Leben als „TV-Junkie“.

Mit Tochter Lilly diskutiert der 55-Jährige darüber im Podcast „Synapsen Mikado“. Mit uns spricht er exklusiv über seine TV-Kindheit, TV-Helden, beglückende und schreckliche Momente. Mal nostalgisch, mal ironisch.

Ein Interview von Thomas Kunze

HÖRZU: Herr Mittermeier, Sie haben rund 50 Jahre Fernseherfahrung. Was ist Ihre früheste Erinnerung?

MICHAEL MITTERMEIER: Ich saß auf dem Töpfchen vorm Fernseher und habe „Sandmännchen“ und „Bonanza“ gesehen. Das Kind saß wie auf seinem Thron und hat die Droge Fernsehen konsumiert. Meine Eltern waren die Dealer, und ich wurde zum TV-Junkie. Damals brauchte man keine Babysitter – dafür gab es das Fernsehen.

Es muss schlimm gewesen sein, wenn die Eltern den Stoff entzogen haben.

Ja, Fernsehverbot war als Kind die Höchststrafe. Ein Wochenende ohne Glotze war wie lebenslänglich mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Ich bin mir heute sicher, dass Mattscheibenausschluss nicht konform mit den Genfer Konventionen war. Aber für die heutige Internetgeneration wäre Fernsehverbot sicher keine schlimme Strafe mehr. Heute ist das vergleichbar mit Handyverbot.

Haben Sie noch andere traumatische Erfahrungen erlebt?

Noch schlimmer war das Fernsehverbot, wenn die anderen gucken durften. Wenn der Rest der Familie selig „Daktari“ geschaut hat, während ich vor der Wohnzimmertür mit dieser geriffelten Milchglasscheibe stand und es nur verschwommen habe flimmern sehen.

Und schockierende Sendungen?

Den Film „Der schwarze Abt“ von Edgar Wallace fand ich extrem gruselig. Und „Aktenzeichen XY“ war auch schlimm. Das war brutal, da wurde erschossen, erdrosselt, erschlagen, erstochen, ausgeraubt. Damit war 1967 das Genre „True Crime“ in Deutschland geboren. Geschockt hat mich auch die Anfangsmusik von „Der Kommissar“, die fand ich als Kind gruselig.

Beeindruckt hat Sie auch die Titelmusik von „Winnetou“?

Ja, die wunderbare „Winnetou“- Melodie beamt mich in einer Hundertstelsekunde zurück in den Wilden Westen meiner Kindheit. Ich habe mal einen Test gemacht und die Melodie in einer voll besetzten U-Bahn gesummt. Das halbe Abteil stimmte mit ein und summte mit.

Hatten Sie noch mehr TV-Helden?

Pippi Langstrumpf fand ich super. Und als kleiner Bub wollte ich immer sein wie Michel aus Lönneberga. Ich glaube, diese Serie ist schuld daran, dass mein Rufname zu Michl wurde. Er war das Role Model meiner Kindheit. Lausbub de luxe. Er war frech, lustig und kreativ im Ausdenken neuer Streiche.

Und Pippi Langstrumpf?

Sie ist ein mutiges, starkes Mädchen und verkörpert ein Freiheitsgefühl, das mich begeistert hat. Sie kann tun, was sie will. Ich habe ihre Geschichten früher auch immer auf Schallplatten angehört. Dazu gab es Wiener Würstchen von meiner Oma. Das sind Erinnerungen, die ewig bleiben. Das ist auch die Absicht meines Buchs. Ich wollte nicht nur Gags übers Fernsehen schreiben, sondern einen persönlichen Bezug herstellen zu den Sendungen. Damit möchte ich ein wohliges Fernsehlagerfeuergefühl erzeugen.

Das funktioniert am besten mit Sendungen, die alle kennen, etwa mit dem „Tatort“, oder?

Ja, den „Tatort“ kennt wohl jeder, das ist der Gottesdienst des deutschen Fernsehens. Er beantwortet alle Fragen des Lebens und des Todes. Mit dem „Tatort“ kann man alt werden wie in einer Beziehung. Man liebt und respektiert sich, aber fällt nicht mehr unkontrolliert wochentags übereinander her, um spontanen spektakulären Sex zu haben, sondern wartet auf den Sonntag. Der Vorspann steht übrigens unter Natur- und Denkmalschutz und gehört zum Unesco-Weltkulturerbe.

Noch mal zurück in Ihre Kindheit. Wie hat sich das Fernsehen auf Ihre sprachlichen Fähigkeiten ausgewirkt?

Sehr gut. Dank Lassie, dem Sprachgenie. Als Kind hatte ich eine Phase, in der ich mit Tieren gesprochen habe. So, wie ich es aus dem Fernsehen gelernt hatte. Ich war immer fasziniert davon, wie intelligent Fernsehtiere waren. Lassie konnte alles verstehen und mit allen Lebewesen sprechen.

Sie haben „Lassie“ jetzt mit Ihrer Tochter geschaut. Wie fand sie es?

Die Serie ist illegale Förderung des Hundehandels! Als meine Tochter eine Folge „Lassie“ gesehen hatte, war ihre Reaktion die gleiche wie meine 50 Jahre zuvor: Sie wünschte sich einen Hund. Noch halte ich stand.

Wirkte das Fernsehen in ihrer Kindheit auch als Humorschule fürs weitere Leben?

Der erste Komiker, über den ich als Kind lachen konnte, war Jerry Lewis. Noch bevor ich überhaupt Worte verstanden habe. Er hatte eine eigene universelle Humorsprache und hat mich auf eine Reise mitgenommen in seine Welt. Die war schrill, schräg, dreist, hyperaktiv, außer Kontrolle, liebevoll und saulustig. Meine Eltern haben mir erzählt, dass ich ihn früh nachgemacht habe. Bis heute lebt ein kleiner Jerry in mir. Wenn ich auf die Bühne gehe, darf er raus zum Spielen. Jerry Lewis wird für ewig in meinem Herzen bleiben.

Und hatten Sie eine Lieblingsserie?

„Raumschiff Enterprise“ ist meine Lieblingsserie für alle Zeiten. Es war eine der wenigen Science-Fiction-Serien, in denen es die Vision einer besseren Welt gibt. Und zu Beginn kam immer der Satz aller Sätze: „Die ,Enterprise‘ dringt in Galaxien vor, die nie ein Mensch zuvor gesehen hat.“ Das ist zu meinem Lebensmotto geworden.

Können Sie das genauer erklären?

Ich habe niemals Grenzen in mir gespürt. Mit diesem Spirit bin ich als Comedian aufgebrochen, bin auf für mich fremden Planeten wie New York oder Moskau aufgetreten, um die dortigen Bewohner zum Lachen zu bringen. Und die Menschen dort hatten tatsächlich zuvor noch nie einen deutschen Komiker gesehen.

Wie steht es heute um Ihre TV-Sucht?

Die ist groß. Bei Stress ziehe ich mir oft noch guten alten TV-Stoff rein. Es wird immer mehr gestreamt.

Ist das für Süchtige die härtere Droge?

Ja, und ich gebe zu, dass ich abhängig bin. Ich habe bisher sieben Staffeln von „The Blacklist“ gesehen, dafür hätte ich früher Jahre gebraucht. Das willst du durchschauen, da kannst du nicht wie früher eine Woche auf die nächste Folge warten. Deswegen heißt mein Buch „Nur noch eine Folge!“.

Ist das gute alte Fernsehen also tot?

Nein. Für mich ist streamen auch fernsehen. Ich schaue mir die Serie „Dark“ bestimmt nicht auf einem Handy an. Die Optik und der Sound sind dabei doch enorm wichtig. Das Fernsehen meiner Kindheit war eine andere Welt, das kann man nicht vergleichen. Aber es bleibt dabei: Fernsehen ist zu schön, um wahr zu sein.

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