Einer härter als der andere!...
Einer härter als der andere!
Im TV kann so einiges schief gehen, vor allem dann, wenn Sendungen oder...
Es war eine riskante Reise: Die beiden Journalistinnen Ksenia Bolchakova und Veronika Dorman waren drei Wochen in Russland unterwegs und fingen fürs ZDF-Magazin „frontal“ die Stimmung im Land ein. Was passiert in diesem Staat, aus dem seit über einem Jahr nur gefilterte Nachrichten nach außen dringen? Sie haben erschreckende Antworten auf diese Frage gefunden…
Ein Artikel von Redakteurin Mirja Halbig.
Bolchakova und Dorman führten heimlich zahlreiche Interviews – was seit dem Angriffskrieg auf die Ukraine für Reporter aus dem Westen eigentlich unmöglich ist. Gelungen ist dies nur, weil beide Frauen einen russischen Pass besitzen und unbemerkt einreisen konnten. Mit der Dokumentation „Geheim in Russland: Reise durch ein unterdrücktes Land“ ist ein wertvolles Zeitdokument entstanden. Bolchakova und Dorman haben uns berichtet, unter welcher Spannung sie arbeiteten und warum sie glauben, dass ihre Ausreise aus Russland ein Abschied für immer war.
21 Tage lang ging es für die beiden nur um eines: sich so unauffällig wie möglich zu verhalten. So stiegen sie für die Einreise nicht in ein Flugzeug, sondern fuhren ab Helsinki mit dem Bus nach Sankt Petersburg und waren auch in Russland Tausende Kilometer nur mit Bus und Bahn unterwegs. Hotels mieden sie. „Wichtig war, dass wir nirgendwo registriert wurden. Deshalb haben wir auch nicht mit der Kreditkarte gezahlt“, sagt Dorman. „Uns war jederzeit bewusst, wie gefährlich dieser Trip ist. Vor dem Ukrainekrieg war es bereits sehr schwer, eine Arbeitserlaubnis zu erhalten – für unsere Mission war es unmöglich.“
Die Journalistinnen haben einen engen Bezug zum größten Land der Erde: Ihre Eltern stammen aus Russland, so kennen sie viele Einheimische. Bolchakova, heute 40, wurde in Moskau geboren, Dorman, 41, in New York. Beide wuchsen in Paris auf, wo sie heute auch leben. Monatelang bereiteten sie das Projekt vor, bis es im November endlich losging. „Unser erster Eindruck in Moskau war, dass sich nicht viel geändert hat: Man spürte nicht wirklich, dass Russland im Krieg ist. Wir hatten das Gefühl, dass die Menschen gar nicht wissen, was Schreckliches in ihrem Nachbarland passiert. Das war verstörend“, sagt Dorman. „Aber je länger wir unterwegs waren, umso mehr erlebten wir Anspannung und auch Angst in der Bevölkerung.“
Immer wieder sahen sie auf ihrer Reise, wie die Jüngsten militarisiert werden. In Sotschi hatten die Reporterinnen die Chance, ein paramilitärisches Camp für Kinder zu beobachten. Die „Junarmija“ (russisch für Jugendarmee) gibt es seit 2016. Hier werden Acht- bis 18-Jährige dazu erzogen, in den Krieg zu ziehen. „Wir bereiten unsere Kinder auf schwere Zeiten vor“, erklärt die Leiterin. Mädchen und Jungen in Tarnfarben und mit rotem Barett lernen, blitzschnell Schusswaffen zusammenzusetzen und abzudrücken oder präzise Messer zu werfen. Dabei schauen sie versteinert aus ihren zarten Gesichtern. 1,3 Millionen junge Menschen sollen dieser Armee angehören. Insgesamt leben 30 Millionen Kinder und Jugendliche in Russland.
Für alle Schüler gibt es seit September ein neues Unterrichtsfach: Es nennt sich „Gespräche über Wichtiges“. Dorman erklärt: „Offiziell soll der Patriotismus gestärkt werden, aber es ist nichts weiter als eine Propaganda-Schulstunde. Hier werden Videos gezeigt, die Russland als Opfer des Westens darstellen und Lügen über den Angriffskrieg in der Ukraine verbreiten.“ Während ihrer Arbeit treffen die Reporterinnen eine Lehrerin aus Moskau. Sie wurde im Januar vom Dienst suspendiert, da sie das neue Schulfach kritisch sah. Sie erzählt: „Es geht immer wieder um die ,Spezialoperation‘. Neunjährige werden darauf eingestimmt, dass es nicht schlimm sei, für die Heimat zu sterben.“
Was es bedeutet, anderer Meinung zu sein, erlebte auch eine 13-Jährige. Im Kunstunterricht sollte ihre Klasse etwas zur Unterstützung der russischen Soldaten malen. Sie zeichnete ein Friedensbild und schrieb darunter: „Nein zu Putin, Nein zum Krieg“. Die Folge: Sie lebt nicht mehr bei ihrem alleinerziehenden Vater, sondern in einem Kinderheim. „In den Schulen ist die Propaganda längst angekommen. Auch für jeden Erwachsenen gibt es online und auch offline keine Freiheit mehr. Auf den Straßen ist jede Art von Protest verboten“, sagt Dorman. „Viele unserer Freunde und auch Familienmitglieder haben seit Februar 2022 das Land verlassen.“
Wie sehr hat sich der Alltag der Menschen in Russland verändert? Ksenia Bolchakova berichtet: „Die wirtschaftliche Krise ist überall zu spüren. Immer mehr Menschen leben in Armut. Die Preise sind enorm gestiegen. Zum einen liegt es noch an der Pandemie, denn in Russland wurde die Wirtschaft während des Lockdowns nicht unterstützt. Zum anderen setzen die Sanktionen Russland zu. In den Städten mussten viele Läden dichtmachen.“
Ksenia Bolchakova und Veronika Dorman führten ihre Interviews nie auf der Straße. Zudem hatten sie nur eine leichte Kameraausrüstung dabei, um wie Touristinnen auszusehen. Ihre Reportage wird auch im französischen Fernsehen ausgestrahlt. Die beiden Filmemacherinnen sind nach ihrem Aufenthalt wieder in Paris gelandet – wohlbehalten, aber mit einem schweren Herzen. „Wir haben das Gefühl, dass es erst mal unser letzter Trip nach Russland war. Es ist schwer auszuhalten mitzuerleben, wie Russland, das wir auf eine Art noch gut kennen, sich vor unseren Augen so schnell verändert. Es fühlt sich an, als würden wir unser Land und damit auch unsere Heimat verlieren. Schließlich sind hier unsere Wurzeln.“
Am 25. Juli um 21.00 Uhr läuft „Frontal: Geheim in Russland“ im ZDF.