Einer härter als der andere!...
Einer härter als der andere!
Im TV kann so einiges schief gehen, vor allem dann, wenn Sendungen oder...
Kaum ein anderes Tier leidet unter so vielen Vorurteilen. Eine neue TV-Doku mit Hannes Jaenicke und ein neues Buch aber zeigen: Das Schwein ist ein stark unterschätztes Tier.
Ein Artikel von TV DIGTAL Reporterin Mirja Halbig
Dreckig, dumm, faul? Schweine haben ein Imageproblem. Dabei sind sie viel besser, als ihr mieser Ruf vermuten lässt. Zunehmend richten Forscher ihren Fokus auf die borstigen Vierbeiner und haben erstaunliche neue Erkenntnisse gewonnen. Hannes Jaenicke zeigt in seiner neuen sehenswerten Doku „Im Einsatz für das Schwein“ (Di, 31. Mai, 20.15 Uhr, ZDF), wie schützenswert die Tiere sind und warum es höchste Zeit ist, in Deutschlands Ställen besser mit ihnen umzugehen.
Auch der norwegische Journalist und Historiker Kristoffer Hatteland Endresen ist fasziniert von den Tieren. In seinem Werk „Saugut – und ein wenig wie wir“ erzählt er die Geschichte des Schweins und vermittelt viele spannende Fakten. Es ist also allerhöchste Zeit, mit Vorurteilen über das Sus scrofa domesticus, das Hausschwein, aufzuräumen.
Im Stall grunzt und quiekt es. Hier, auf Gut Aiderbichl, befindet sich der Arbeitsplatz der Tierärztin Marianne Wondrak. 37 neuseeländische Kunekune-Schweine begrüßen die 40-Jährige so lautstark, dass man sein eigenes Wort nicht versteht. Es scheint, als wüssten sie, dass die Wissenschaftlerin ihnen nichts Schlechtes will. Die gebürtige Würzburgerin arbeitete seit Beginn ihrer Laufbahn in verschiedenen österreichischen Forschungsstätten, aktuell auf dem Gut nahe Salzburg, das sich für Tierschutz starkmacht. Eine wichtige Station zuvor war das „Clever Pig Lab“ der Veterinärmedizinischen Universität Wien, das sie leitete. Dr. Wondrak will beweisen, wie intelligent, sozial und gepflegt das Borstenvieh ist.
Von wegen dreckiges Schwein! „Ich habe noch nie mit einem Tier gearbeitet, das so reinlich ist“, sagt Wondrak. „Wenn Schweine die Möglichkeit haben, lassen sie ihre Schlaf- und Futter[1]plätze peinlichst sauber. Sie würden dort nie ihr Geschäft hinterlassen.“ Was sie allerdings sehr gern machen: sich im Schlamm suhlen. „Das brauchen sie für ihre Haut“, erklärt Dr. Wondrak. „So kühlen sie sich ab, denn Schweine können nicht schwitzen.“ Zudem sorgt der sandige Brei dafür, dass sie vor Sonne und Insekten geschützt sind. Ein cleverer Trick.
Auch dass sie dumm sind, gehört zu den verbreiteten Vorurteilen über Schweine. „Meine Erfahrung mit den Tieren hat mich eines Besseren belehrt“, so Wondrak, die zu den wenigen Forscherinnen und Forschern gehört, die die Intelligenz der Tiere untersuchen. Zwar gibt es zahlreiche Studien über Schweine, die sich aber meist um landwirtschaftliche Fragen drehen: wie man sie am besten mästen kann, welche Medikamente sie gut vertragen, damit sie gesund bleiben und der Bestand ertragreich ist.
Aber welche kognitiven Fähigkeiten besitzen die Vierbeiner? Wie organisieren sie ihr Sozialleben? Wie ticken sie? Darauf gab es bislang kaum Antworten. „Mit dem ,Clever Pig Lab‘ haben wir den Anfang gemacht und Einblicke gegeben. Die Tiere haben uns angenehm überrascht“, sagt sie. Die Tests führt Wondrak nun auf Gut Aiderbichl fort. So gibt es für die Schweine eine selbst gebaute Touchscreen-Einheit, geschützt von Panzerglas, damit die kräftigen Rüssel den Versuchsaufbau nicht zerstören. Die Tiere stellen sich gut an: Innerhalb weniger Tage haben sie gelernt, den Bildschirm zu bedienen und zu unterscheiden, ob auf den gezeigten Bildern ein menschliches Gesicht zu sehen ist oder nur ein Hinterkopf. Drücken sie mit ihrer Schnauze auf den Hinterkopf , werden sie mit Leckerlis wie zum Beispiel Möhrenstücken belohnt. „Nicht alle Schweine sind gleich gut in den Experimenten, und es kommt auch auf ihre Tagesform an“, sagt Wondrak. Insgesamt aber sei es erstaunlich, wie schnell sie lernten. „Wir haben den Versuch auch mit Hunden durchgeführt – die Ergebnisse waren etwa gleichwertig.“
Dass die Tiere die visuellen Experimente so erfolgreich absolvieren, ist auch deshalb erstaunlich, weil ihre Sehfähigkeit nur sekundär ist. Wie gut ein Schwein sieht, weiß man noch nicht mit Sicherheit. „Früher glaubte man, dass Schweine – und alle Tiere mit Ausnahme der Schimpansen – die Welt nur schwarz-weiß sähen“, sagt Kristoffer Hatteland Endresen. „Heute besteht aber Einigkeit darüber, dass die meisten Säugetiere Farben erkennen. Wie viele Farbnuancen sie unterscheiden, wissen wir allerdings nicht.“ Obwohl wir eine bessere Sehfähigkeit als Schweine besitzen, nehmen unsere Augen bei Weitem nicht so viel wahr. Der Mensch sieht bekanntermaßen nur in einem Winkel von 180 Grad. Das Schwein hingegen hat beinahe einen Rundumblick, sein Blickwinkel umfasst 310 Grad. Diese für Beutetiere typische Eigenschaft ermöglicht es ihm, beständig wachsam zu sein und Gefahren zu meiden.
„Würde man einem Schwein die Nasenlöcher zukleben, könnte sich das Tier kaum noch bewegen, geschweige denn Nahrung finden, Gefahren erkennen oder mit Artgenossen interagieren“, so Kristoffer Hatteland Endresen. Während das Zentrum des menschlichen Geruchssinns an einem vergessenen Zäpfchen an der Unterseite des Gehirns verortet ist, liegt es beim Schwein in einem hervorstehenden Knoten an der Front des Gehirns. „Zusammen mit den komplexen Rezeptoren in der Nase versetzt dieser das Schwein in die Lage, Geruchsmoleküle aufzufangen, die wir Menschen niemals bemerken würden“, sagt Endresen.
Studien zeigen, dass ein Schwein, das mit der Schnauze eine Spielkarte berührt hat, diese noch zwei Tage später aus einem kompletten Kartensatz heraussuchen kann. Sogar Gefühle können Schweine erschnüffeln – etwa ob jemand Angst hat oder gestresst ist. Auch ihr Wesen ist komplexer als häufig angenommen. „Sie sind extrem sozial. Allein kommen sie nicht zurecht“, erklärt Dr. Wondrak. „Wir haben festgestellt, dass sie Freundschaften bilden und auch etwas, was man Feindschaften nennen könnte. Solange die Tiere aber Platz haben, sich auszuweichen, bleibt es friedlich.“ Persönlichkeit spielt eine große Rolle. „Wir haben etliche Tiere, die lieber für sich sind, andere sind lieber im Pulk“, sagt Dr. Wondrak. „Ich habe manchmal das Gefühl, ich stehe mitten in einer Schulklasse: Man hat Streber, Tollpatschige oder Desinteressierte.“
„Seit ihrer Domestizierung waren sie immer Fleischlieferanten“, sagt Dr. Wondrak. „Anders als das Pferd oder der Hund haben sie selten eng mit Menschen zusammengearbeitet. Schweine sind uns nah, weil wir sie interessant finden und gern anfassen wollen. Zeitgleich finden wir sie abstoßend, denn: Über ein Tier, das wir verzehren wollen, wissen wir lieber nicht viel und sprechen ihm kognitive Leistungen oder Persönlichkeitsstruktur ab.“
In einer Zeit, in der das Tierwohl mehr in den Fokus rückt, beschäftigen wir uns endlich näher mit ihnen. Dabei reicht ihre Geschichte weit zurück: Wildschweine durchstreifen seit Jahrmillionen unsere Wälder. Im Gegensatz zum Menschen, dessen Wiege nach neuesten Erkenntnissen in Afrika liegt, stammt das Schwein ursprünglich aus Asien. Dort begannen unsere Vorfahren vor etwa 9000 Jahren, sie einzusperren. Heute leben allein in Deutschland 23,8 Millionen Schweine, meist verborgen in Mastbetrieben. „Die Chance, ein Schwein wirklich zu erleben, das Raum und Platz hat, sich zu entfalten, ist extrem selten“, sagt Dr. Wondrak. „Ich hoffe, dass sie durch meine Arbeit mehr im Rampenlicht stehen.“
„Im Einsatz für das Schwein“: Di, 31. Mai, 20.15 Uhr, ZDF