Einer härter als der andere!...
Einer härter als der andere!
Im TV kann so einiges schief gehen, vor allem dann, wenn Sendungen oder...
Jörg Schönenborn, ARD-Koordinator Fiktion, über Abgänge, neue Ermittler, Quoten und Jubiläen - sowie das leicht rückläufige Zuschauerinteresse an der Krimireihe im Ersten.
Ein Interview von TV DIGITAL Chefreporter Mike Powelz
Am 3. September fällt der Startschuss für die neue „Tatort“-Saison: Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ermittelt in einem Fall, in dem der Schatz der Nibelungen eine wichtige Rolle spielt: „Gold“. Als prominenter Gast ist Heino Ferch dabei. Was tut sich sonst bei Deutschlands nach wie vor beliebtester Krimireihe? Gibt es neue Ermittler, stehen Abschiede an, sind Events oder Mehrteiler geplant? Und wie bewertet die ARD die Tatsache, dass es nach 2022 in diesem Jahr mit den durchschnittlichen Einschaltquoten erneut abwärts ging? Der für den „Tatort“ zuständige ARD-Koordinator Fiktion Jörg Schönenborn hat die Antworten.
Welche Besonderheiten oder Highlights können die Zuschauer in den kommenden „Tatort“-Folgen erwarten?
Wir wollen mit jedem „Tatort“ besondere Akzente setzen – das kann gestalterisch in der Machart sein, in Erzählweise oder Dramaturgie, aufgrund von Gaststars oder aber auch Themen-Setzung. Einige Themen der nächsten Monate etwa sind moderne Landwirtschaft und EU-Fördermittel, ein Mord im Lieferantenmilieu oder die Jagd nach einem Schatz in der Pfalz. Auch Mord aus Leidenschaft ist dabei. Und beim neuesten Murot-„Tatort“ begibt sich Ulrich Tukur im Herbst auf eine spektakuläre Suche nach dem Glück.
Gibt es neue Teams in der 2. Jahreshälfte 2023 sowie 1. Jahreshälfte 2024? Und neue „Tatort“-Schauplätze?
Nein, wir haben ja andersherum derzeit sehr viele „Tatort“-Teams und merken: Immer dort, wo es eine gewisse Regelmäßigkeit neuer Filme gibt, etabliert sich eine Fan-Gemeinde. Darum wird es diesen Herbst und Winter keine neuen Ermittlerteams geben, aber alle aktuellen Teams werden in diesem Zeitraum mindestens einmal zu sehen sein. Ich kann aber verraten, dass wir an neuen Ideen für Teams dran sind, auf die die Zuschauer gespannt sein können.
Welche Ermittler verabschieden sich in der 2. Jahreshälfte 2023 / 1. Jahreshälfte 2024, wer tritt ab?
Leider wird es keine weiteren Mainzer „Tatort“-Folgen mit Heike Makatsch als Ellen Berlinger geben. Die Zuschauerinnen und Zuschauer können aber auf einen letzten Fall mit ihr gespannt sein, der im Herbst zu sehen sein wird. In der Geschichte geht es um einen Stalker, der seine Opfer mit perfiden Mitteln zur Verzweiflung treibt. Auch mit Til Schweiger sind vorerst keine weiteren „Tatort“-Filme geplant.
Welche Gaststars sind erwähnenswert?
Ich freue mich persönlich, dass wir zum Beispiel im nächsten Münster-„Tatort“ einen sehr bekannten deutschen Schauspieler, Regisseur und Produzenten in einer Gastrolle haben: Detlev Buck spielt in „Der Mann, der in den Dschungel fiel“ (AT) Münsters neuen Stadtschreiber und einen ehemaligen Mitschüler von Kommissar Thiel.
Welche Rolle spielen Gaststars und bekannte Schauspieler generell für den Erfolg einer Tatort-Folge?
Die Ermittler-Teams sind für viele „Tatort“-Zuschauerinnen und Zuschauer ja oft der Hauptgrund, warum sie den „Tatort“ aus Stuttgart, München, Dortmund oder Münster mögen. Das fühlt sich manchmal an wie bei „alten Bekannten“. Dieses vertraute Ermittler-Gefüge bekommt durch Gast-Auftritte mitunter ein neues Spannungsfeld für die jeweilige Episode. Wichtig ist mir aber: Sowohl für Ermittlerteams, aber auch für Gastauftritte gelingt es uns immer wieder, die besten Schauspielerinnen und Schauspieler im deutschsprachigen Raum zu gewinnen. Dadurch möchten wir auch Interesse bei einem Publikum zu wecken, das sich über den „Tatort“ hinaus für bestimmte Darstellerinnen und Darsteller interessiert. Und damit wird der „Tatort“ auf der anderen Seite auch immer wieder neu erfunden und weiterentwickelt.
Welche Jubiläen stehen an?
Ende November 2023 feiern wir mit „Borowski und das unschuldige Kind von Wacken“ den 20. Geburtstag beim Kieler „Tatort“. Axel Milberg ist ein Ausnahmeschauspieler und hat die Rolle des Borowski geprägt. Auf eigenen Wunsch wird er aber nur noch bis 2025 im „Tatort“ zu sehen sein und wird sich dann verabschieden.
Welche Trends oder Veränderungen sehen Sie in Bezug auf die Themen und Geschichten der „Tatort“-Folgen?
Der „Tatort“ hat ja eine lange Tradition, vor allem aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen. Das wird auch in Zukunft so sein. Wenn ich auf das nächste Halbjahr gucke, dann richten wir den Fokus u.a. auf die Arbeitsverhältnisse von Kurierdiensten, Anfeindungen im Internet werden beleuchtet oder es stehen Deep Fakes auf Social-Media-Accounts im Mittelpunkt von Ermittlungen. Insgesamt wollen wir den Zuschauerinnen und Zuschauern sowohl in der Stoffauswahl, den Milieus und den Regionen ein möglichst breites Spektrum an bester Krimiunterhaltung bieten.
Welche Pläne gibt es, um die „Tatort“-Reihe weiterhin attraktiv zu halten und neue Zuschauer zu gewinnen?
Wir haben einen regen Austausch zwischen den Kolleginnen und Kollegen, die am „Tatort“ arbeiten, was gut oder sehr gut ist und was man Neues ausprobieren könnte. Das betrifft die Themenbereiche, die für Menschen in Deutschland aktuell sind. Zum Beispiel im Kölner „Tatort – Abbruchkante“ mit dem Thema Braunkohleabbau und dem Versetzen von Dörfern. Das bezieht sich aber auch auf Überlegungen, tolle, bisher weniger bekannte Schauspieler und Schauspielerinnen als neue Ermittler zu gewinnen, die man bisher nicht mit dem „Tatort“ verbindet. Die Mischung aus Vertrautem und Neuem macht‘s. Aber hochwertig unterhalten wollen wir die Zuschauer immer.
Wie bewerten Sie die Entwicklung der rückläufigen „Tatort“-Quoten im Vergleich zum Vorjahr?
Wir müssen lernen, Erfolg anders zu gewichten. Klar, die lineare Fernsehnutzung geht insgesamt zurück, davon ist auch der „Tatort“ betroffen. Die Marktanteile des „Tatort“ sind aber in der Relation unverändert hoch, auch bei den Jüngeren (20-49 Jahre) haben sich im ersten Halbjahr noch mehr Menschen entschieden, den „Tatort“ zu schauen als im vergangenen Jahr. Hinzu kommt: Die Abrufzahlen in der ARD Mediathek sind mit durchschnittlich einer Million pro Folge ebenfalls sehr gut. Wir müssen uns also in der Summe ansehen: Was nutzen die Menschen in der Mediathek, was linear.
Die Quote allein wird künftig nicht der einzige Maßstab sein. Denn: Über die verschiedenen Verbreitungswege zusammen hat der „Tatort“ nicht an Publikum verloren, bei den Jüngeren sogar gewonnen.
Welche Gründe sehen Sie für den Rückgang der durchschnittlichen Zuschauerzahlen?
Den Zuschauerinnen und Zuschauern stehen immer mehr Kanäle zur Verfügung, über die sie Programme sehen können, im linearen Fernsehen oder im Streaming. Die Nutzung verändert sich gerade maßgeblich, aber das Interesse an guten Inhalten ist ungebrochen, und die Mediennutzung insgesamt nimmt zu. Insofern sehen wir den „Tatort“ noch immer als stabilen Erfolgsgaranten am Sonntagabend und in der ARD Mediathek.
In der 2. Jahreshälfte 2023/1. Jahreshälfte 2024 gibt’s weniger neue „Tatort“-Folgen, weil „Babylon Berlin“ sonntags um 20.15 Uhr läuft. Wie viele Folgen zeigen Sie insgesamt in der 2. Jahreshälfte 2023 sowie 1. Jahreshälfte 2024?
Ab dem 27. August 2023 zeigen wir bis Ende des Jahres 17 Erstausstrahlungen von „Tatort“ und „Polizeiruf 110“. In der ersten Jahreshälfte 2024 planen wir aktuell mit ca. 27 „Tatort“- und „Polizeiruf 110“-Folgen.
Wie viele neue Münster- „Tatorte“ werden in dem erwähnten Zeitraum gezeigt?
In diesem Winter ist mit „Der Mann, der aus dem Dschungel fiel“ (AT) noch ein Münster-„Tatort“ eingeplant, im ersten Halbjahr 2024 wird voraussichtlich eine Folge ausgestrahlt.
Welche Bedeutung hat der „Tatort“ für das deutsche Fernsehen und wie sehen Sie die Zukunft der Krimiserie?
Wir freuen uns sehr darüber, dass der „Tatort“ oft das reichweitenstärkste regelmäßige Format ist, für das sich die Zuschauerinnen und Zuschauer zu einem wöchentlichen Termin versammeln. Dieses Gemeinschaftserlebnis ist ein Alleinstellungsmerkmal, das wir für unser Publikum auch weiterhin pflegen. Ungeachtet der anhaltenden Beliebtheit ist es auch Aufgabe der Redakteurinnen und Redakteure, den Erfolg des Sonntagskrimi-Formats sicherzustellen und sich mit den Herausforderungen durch einen steigenden Wettbewerbs- und Kostendruck auseinanderzusetzen.
Wird der „Tatort“ künftig neu bzw. anders neu sozialen Medien und digitalen Plattformen präsentiert, um die Interaktion mit den Zuschauern zu fördern?
Der „Tatort“ hat sich in den vergangenen Jahren ja immer weiterentwickelt – über Social-Media-Kanäle, einen Podcast. Aktuell beschäftigt uns das Thema „Gaming“. Gerade wurde im SWR das „Tatort“-Game entwickelt, mit dem man die Ermittler Lannert und Bootz bei einem Fall unterstützen kann. Spiele-Fans können so selbst einen Fall lösen und per Chat-Bot mit echten Charakteren chatten.
Worin besteht mit Blick auf den „Tatort“ die Herausforderung für Sie als ARD-Koordinator Fiktion?
Eine Herausforderung besteht darin, den „Tatort“ als Leuchtturm und Lagerfeuer des Sonntagabends im Ersten zu bewahren und das Format gleichzeitig für die ARD Mediathek weiterzuentwickeln. Dies bedeutet, andere Stoffe umzusetzen, neue Macharten zu kreieren, auch eine veränderte Publikumsansprache, die sich an eine erweiterte Zielgruppe richten können. Unser Ziel ist es, das Publikum mit den Inhalten nicht nur bestens zu unterhalten, sondern auch immer wieder für Gesprächsstoff zu sorgen und Denkanstöße zu aktuellen gesellschaftspolitischen Fragen zu liefern.
Was ist Ihre persönliche Lieblingsfolge in dem erwähnten Zeitraum – und warum?
Da eine Wahl zu treffen, ist für mich natürlich sehr schwierig. Beeindruckt hat mich im Frühjahr aber zum Beispiel „Game over“. Dieser Münchner „Tatort“ wirft einen sehr authentischen, gleichzeitig auch differenzierten Blick auf die Gamer Szene, ist dabei extrem spannend erzählt, temporeich inszeniert und gibt einen Einblick in den Alltag von Auseinandersetzungen in Familien, wenn zu entscheiden ist, wieviel Computerspiel noch normal ist und wann Zocken zur gefährlichen Sucht wird.