"Inzwischen bin ich zu alt"

Guido Maria Kretschmer über eigene Kinder: „Vollkommenheit und Hoffnungsträger schlechthin“

02.11.2023 um 18:57 Uhr

Designer und Moderator Guido Maria Kretschmer hat ein Buch über Begegnungen geschrieben – und dabei über sein Leben nachgedacht. Im Interview spricht der TV-Star über die besondere Beziehung zu seinen bereits verstorbenen Eltern, eigene Kinder und die Zukunft von „Shopping Queen“ bei VOX.

Ein Interview von TV DIGITAL Chefreporter Mike Powelz

Authentisch, aufrichtig, herzlich – und kein bisschen auf den Mund gefallen. Mit seiner unverwechselbaren Art hat Guido Maria Kretschmer („Shopping Queen“) die Herzen seiner Fans im Sturm erobert. Anlässlich der Veröffentlichung seines Buchs „19.521 Schritte: Vom Glück der unerwarteten Begegnung“ (Heyne Verlag) gibt der 58-Jährige GOLDENE KAMERA-Preisträger HÖRZU intime Einblicke in sein Seelen- und Privatleben.

TV DIGITAL: Ende 2022 sind Sie durch Berlin geschlendert, haben zahlreiche Zufallsbekanntschaften gemacht und berichten darüber in Ihrem Buch. Welche Begegnung war besonders?

GUIDO MARIA KRETSCHMER: Gleich die erste. Ich war noch nicht weit gegangen, als ich auf ein Ehepaar traf, das mich als „Ersatzsohn“ adoptierte. Die beiden wirkten völlig verlassen, weil sie auf ihre Tochter warteten, die seit ein paar Monaten in Berlin arbeitete und während ihres Besuchs viel zu viel im Nachtleben unterwegs war. Die junge Frau verschob das Treffen mit den Eltern schon seit mehreren Tagen immer wieder auf den nächsten Tag. Als ich meiner Mutter von dem Treffen mit dem Ehepaar erzählte, habe ich gemerkt, dass sie genau wusste, dass ich schon seit Kindesbeinen jemand bin, den man sehr gut mit anderen Menschen teilen kann – weil ich sehr kompatibel bin. Die Rolle des Ersatzsohns habe ich regelrecht mitgespielt und zum Abschied sogar spontan „Tschüss, Mama. Tschüss, Papa.“ geflüstert. Außerdem hat mich die Begegnung mit einer drogensüchtigen Prostituierten berührt, weil sie mir zeigte, wie schnell man im Leben eine kleine, aber absolut falsche Abzweigung nehmen kann, die einem alles ruiniert. Die junge Frau war total am Ende. Es war ein besonderer Moment, als sie mir erzählte, dass sie bei ihrer Arbeit mit Freiern manchmal „Shopping Queen“ nebenbei laufen lässt – denn die Sendung ist für sie eine von mehreren Erinnerungen an ihr früheres Leben, das sie jetzt nicht mehr hat.

Haben Sie die Leute, von deren Schicksalen Sie im Buch berichten, vorab darüber informiert?

Nein, aber der Verlag hat aufgrund des Datenschutzes alle Namen der Personen geändert, die ich nicht kannte. Denn ich hatte die Kontaktdaten nicht, und natürlich war das Buch auch nicht geplant, während ich mit den Menschen sprach. Die Idee dazu entstand erst, als ich immer mehr erlebte und dabei über mich selbst nachdachte.

In Ihrem Buch geben Sie viel über sich preis. So schreiben Sie etwa, Sie seien von Ihren Eltern je „die exakte Hälfte“. Welche Charaktereigenschaften haben Sie von Vater und Mutter geerbt?

Von meinem Vater das große Grundvertrauen, das letztlich alles gut wird. Er war ein Flüchtlingskind mit einer harten Geschichte und hatte sein Leben bereits fast dreimal verloren, bevor er neun war. Von ihm habe ich die Sehnsucht nach einem guten Leben und Glaube, Liebe und Hoffnung geerbt sowie den Mut, unterwegs zu sein. Und was meine Mutter betrifft: Von ihr habe ich eine große Empathie und Toleranz mit bekommen. Anderen Menschen gegenüber ist sie völlig unvoreingenommen – und genau wie ich ein modeaffiner ShoppingTyp.

Das klingt, als hätten Sie eine ganz besondere Beziehung.

Ja, wenn sie nicht meine Eltern gewesen wären, hätte ich sie auch als Freunde haben können. Schon als Kind, das im Dorf aufwuchs, hatte ich das Gefühl, eine kleine Sonderstellung zu haben – weil meine Beziehung zu meinen Eltern komplett anders war als die in anderen Familien. Bestimmt lag das auch daran, dass mein Vater seine schlimmen Kindheitserfahrungen in viel Liebe und Fantasie umgedreht hat und es sehr herzlich bei uns zuging. Ich sehne mich immer nach Harmonie und Herzenswärme.

Sie schreiben, dass Ihr Vater für Ihre Mutter der wichtigste Mensch in ihrem Leben war. Im August ist er verstorben. Wie kommt Ihre Mutter damit klar?

Irgendwie ist sie dadurch „gerettet“ worden, dass es anfing, dass sie sich aufgrund ihres Alters nicht mehr immer gut an alles erinnern kann und der Abschied von meinem Vater dadurch vielleicht anders von ihr „bewertet“ werden konnte. Aus meiner Sicht war das wie eine Art Puffer, der den Aufprall entschleunigt hat. Und was meinen Umgang mit meiner Mutter betrifft, korrigiere ich sie nie, wenn sie etwas durcheinanderbringt, denn ich will immer alle Menschen so leben lassen, wie sie es möchten. An Tagen, an denen sie trauert, trauere ich natürlich mit ihr. Wenn wir zusammen sind, bin ich immer ein bisschen in meinem eigenen Gestern, in dem noch alles stabil ist. Das ist ganz schön.

Glauben Sie an ein Wiedersehen? Sie schreiben ja auch über Ihre verstorbene Freundin Anne, die Ihnen versprach, Sie eines Tages „abzuholen“.

In mir ist eine große Sehnsucht nach Spiritualität angelegt, und ich finde es schön zu glauben, dass es etwas gibt, das über uns wacht. An das Wiedersehen mit Anne glaube ich, weil sie, obwohl sie Atheistin war, das drei Stunden vor ihrem Tod zu mir gesagt hat – genau wie mein Vater. Er meinte: „Ich knipse alle Himmelslichter an, damit du nicht verloren gehst, wenn du irgendwann auch kommst.“

Das klingt sehr berührend…

Stimmt. Mein Vater war bis zum Schluss wach und klar, er hatte eine beinahe kindliche Vorstellung von dem Wiedersehen und überhaupt keine Angst, weil er den Moment des Gangs in das Licht schon mehrmals in seinem Leben erlebt hatte. Einmal meinte er sogar, wie schön es doch wäre, wenn er Heine und Dürrenmatt im Himmel träfe und sie von mir grüßen könnte. Und ein bis zwei Tage vor seinem Tod sagte er, dass er jetzt wisse, was „Himmel und Hölle“ wären. Der Himmel sei der Weg ins Licht, bei dem einem warm würde, die Hölle ein schwerer Abschied, wenn man im Leben Altlasten hätte – etwa weil etwas aufgrund eigenen Fehlverhaltens nicht so gut gelaufen sei. Was mich betrifft, ist es ein schöner Gedanke, wenn es „oben“ eine Reunion gäbe und man vor Freude über das Wiedersehen herumspränge. Zumindest ist der Wunsch sehr menschlich.

Kinder, so liest man in Ihrem Buch – etwa wenn Sie über ein schwules Freundespaar mit Nachwuchs schreiben – sind aus Ihrer Sicht „Wunder eines Neuanfangs“. Warum haben Sie selbst keine adoptiert oder sind Vater geworden?

Neulich wurden mein Mann Frank und ich dasselbe von einem schicken Hamburger Ehepaar gefragt. Da hat Frank gewitzelt, dass einer von uns wohl unfruchtbar sein müsse (lacht). Aber nein, Scherz beiseite:

Als ich jünger war, ging das noch nicht so einfach wie heute, und inzwischen bin ich zu alt. Wäre ich 20 Jahre jünger, würde ich es machen. Überhaupt keine Frage.

Dann würde ich mir eine Leihmutter suchen. Für mich als kreativer Mensch sind Kinder die Vollkommenheit und Hoffnungsträger schlechthin. Aber ich bin nicht traurig, dass ich keine habe. Denn ich feiere alle Kinder von Mitarbeitern, Freunden und Leuten, mit denen ich zusammen bin, und kümmere mich gern um sie

Ein berührender Satz in Ihrem Buch lautet: „Wer so ein Leben führt, wie ich es seit vielen Jahre tue, der braucht die anderen – und ich bin für jede Unterstützung dankbar. Denn obwohl ich so ein Sonnenkind bin, gibt es ab und zu auch in mir so eine große Einsamkeit, und die können nur Menschen heilen.“ Wie meinen Sie das?

Ganz einfach: Kreative Menschen starten meist unverstanden ins Leben – und das setzt sich oft lebenslang fort. Ein Beispiel dafür ist mir erst kürzlich passiert, als ich ein Haus kaufen wollte und ein älterer Herr zu mir meinte, ich solle doch mal ehrlich sein und ihm verraten, ob man wirklich davon leben könnte, was ich „so mache“. Solche Vorurteile sind typisch. Und klar, natürlich gibt’s immer wieder Momente, wo man Zuspruch von Menschen braucht. Das gilt auch im größeren Kontext: Ich finde, dass in der Politik jemand fehlt, der uns guten Zuspruch gibt und sagt: „So Freunde, jetzt reißt euch mal zusammen – wir kriegen das schon irgendwie hin.“ Manchmal könnte ich wirklich schreien, weil das in unserer Gesellschaft aktuell so sehr fehlt. Dann bin ich regelrecht ambitioniert, selbst in die Politik zu gehen.

Wie lange wird es „Shopping Queen“ noch geben?

Ich habe immer Dreijahresverträge und verlängere sicherlich noch einmal. Es gibt ja so viele Menschen, die das gerne schauen – und ich liebe „Shopping Queen“ einfach. Und was die anderen Zukunftsaktivitäten betrifft, bin ich bis Weihnachten sehr gut mit Auftritten zum Buch beschäftigt und quasi von morgens bis abends unterwegs.

"Shopping Queen": Immer montags bis freitags, 15 Uhr bei VOX

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