Der Wahnsinn auf dem Schlachtfeld

„Im Westen nichts Neues“ bei Netflix: Sinnlose Gewalt, Dreck und keine Helden

27.10.2022 um 15:49 Uhr

Erich Maria Remarques Anti-Kriegs-Roman „Im Westen nichts Neues“ wurde bereits 1930 von Hollywood verfilmt. Jetzt hat sich erstmals ein deutscher Regisseur an den Stoff gewagt. Bei der Neuverfilmung für Netflix gerieten die Macher an ihre Grenzen. Ab dem 28. Oktober ist der deutsche Oscar-Kandidat bei Netflix zu sehen.

Ein Artikel von TV DIGITAL Reporter Dirk Oetjen

Vor diesem Projekt habe er größten Respekt gehabt, sagt Edward Berger. Wenig verwunderlich, schließlich ist Erich Maria Remarques 1929 erschienener Roman „Im Westen nichts Neues“, den Berger neu verfilmte, ein deutscher Klassiker: Der Appell gegen Krieg und Nationalismus wurde in 50 Sprachen übersetzt und weltweit über 20 Millionen Mal verkauft. Zudem gibt es bereits eine herausragende US-Adaption von 1930, ausgezeichnet mit Oscars für die Regie und den besten Film. Die Messlatte lag also hoch.

Berger, der 2018 mit Benedict Cumberbatch die hochgelobte Miniserie „Patrick Melrose“ drehte, wagte sich dennoch an den zeitlosen Stoff – als erster deutscher Regisseur, was die Herausforderung noch größer machte: „Jeder Tod, egal auf welcher Seite, ist einfach nur schrecklich“, sagt er im Gespräch mit TV DIGITAL. „Doch unser deutscher Blick auf den Krieg ist anders. Da bleibt nichts Positives, nichts Heldenhaftes zurück. Die beiden Weltkriege waren auch für andere Länder verlustreich und furchtbar, aber es war für sie eine Erfahrung mit erfolgreichem Ausgang. Das schwingt bis heute mit, wenn man als Amerikaner oder Brite in einem Film vom Krieg erzählt. “

Die Gräuel des Krieges

Beim Dreh in Tschechien versammelte Berger Stars wie Daniel Brühl, Albrecht Schuch und Edin Hasanovic vor der Kamera. Die Hauptrolle besetzte er mit einem Newcomer: Felix Kammerer, Ensemblemitglied am Wiener Burgtheater, spielt den Schüler Paul Bäumer, der sich freiwillig meldet und an die Westfront geht. Sein glühender Patriotismus wird jedoch schnell auf die Probe gestellt, als er das sinnlose Sterben in dem brutalen Gemetzel erlebt.

„Um zu diesem absoluten Horror einen Gegenpol zu bilden, haben wir einen Handlungsstrang hinzugefügt, den es bei Remarque nicht gibt: Der Politiker Matthias Erzberger verhandelt am grünen Tisch mit den Franzosen über einen Waffenstillstand. Während die einen in den Schützengräben sterben, entscheiden andere im Luxus über Verderben oder Erlösung“, so Berger. Zudem rückte er das Geschehen ans Kriegsende 1918, der Roman spielt deutlich früher.

Für Felix Kammerer war das Mammutprojekt sein erster Film überhaupt. „Mit der Theaterbühne hat Filmschauspiel nicht viel zu tun. Man spricht anders, bewegt sich anders, denkt sogar anders“, sagt er. Gewissenhaft bereitete sich der 27-Jährige vor: Er übte das Nachladen mit einer Gewehrattrappe, die sein „ständiger Begleiter“ wurde, und verbesserte durch Zehn-Kilometer-Läufe mit Gewichtsweste seine Kondition.

Aufwendige Schlachtszenen

Tatsächlich verlangte der Dreh ihm alles ab. Auf dem 120.000 Quadratmeter großen Schlachtfeld-Set saugte sich der schwere Uniformstoff mit Regen voll, an den Stiefeln klebte nasse Erde, sodass Kammerer bis zu 45 zusätzliche Kilos mit sich herumschleppte. Er erzählt von langen Drehtagen, an denen er für eine Szene mehrmals Hunderte Meter in knietiefem Schlamm zurücklegte. „Du hast 300 bis 400 Meter vor dir und musst dir bestimmte Punkte einprägen, an denen Explosionen hochgehen. Bei Meter 320 wirst du von einem Stuntman umgerannt, danach geht es weiter zu einem Fixpunkt, den du im Nebel aber nicht richtig siehst“, erinnert sich Kammerer.

 

Auch seine filmerfahrenen Kollegen hatten Respekt vor den großen Schlachtszenen. „Na klar geht mir da die Hupe“, sagt Albrecht Schuch, der Bäumers väterlichen Kameraden Katczinsky spielt. „Wenn die Kamera erst über das ganze Feld mit 400 Komparsen und dann runter in den Schützengraben fährt, wo Felix und ich einen Dialog führen, spürt man die Verantwortung, weil sich jeder körperlich und nervlich aufreibt.“

Die anstrengenden dreimonatigen Dreharbeiten halfen Kammerer aber auch bei der Darstellung der emotionalen Zusammenbrüche seiner Figur: „Irgendwann bist du es gewohnt, dich im Ausnahmezustand zu befinden und kannst das für die Rolle kanalisieren.“ In starkem Kontrast dazu steht eine unvergessliche Szene gleich zu Beginn des Films. Sie zeigt eine Füchsin in ihrem Bau, ihre Jungen schmiegen sich an sie. „Im Grunde steht der Fuchs für die Sehnsucht nach Geborgenheit, Familie und Wärme. Es ist das, wonach sich Paul zurücksehnt“, erklärt Berger. „Aber eigentlich weiß er, dass er nie wieder dorthin zurückkehren wird.“

"Im Westen nichts Neues": Ab Fr,  28. Oktober bei Netflix

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